Wallander 05 - Die falsche Fährte
vermutlich trotzdem von ihrem Vater gesprochen.«
»Sie hat ihn verabscheut. Aber ich bin mir ziemlich sicher, daß sie nie von ihm mißbraucht worden ist.«
»Hat sie das gesagt?«
»Gewisse Dinge braucht man kaum auszusprechen.«
»Und der Mord?«
»Sie war merkwürdig desinteressiert.«
»Und wirkte sie glaubwürdig?«
»Ich denke, sie hat genau das gesagt, was sie fühlte. Sie wollte wissen, warum ich gekommen sei. Ich habe es ihr gesagt. Wir suchen einen Täter. Sie sagte, es gäbe bestimmt viele, die ihrem Vater den Tod gewünscht hätten. Wegen seiner Rücksichtslosigkeit in Geschäftsangelegenheiten. Wegen seiner ganzen Art.«
»Deutete sie etwas an, daß ihr Vater eine andere Frau gehabt haben könnte?«
»Nichts.«
Wallander betrachtete mürrisch den Spatz, der zu dem Abfallbehälter zurückgekehrt war.
|382| »Dann wissen wir das«, sagte er. »Wir wissen, daß wir nicht mehr wissen.«
Sie gingen zum Präsidium zurück. Es war halb elf. Der Wind, der jetzt von vorn kam, hatte zugenommen. Auf halber Strecke piepte Wallanders Telefon. Er drehte sich mit dem Rücken gegen den Wind und meldete sich. Es war Svedberg. »Wir glauben, wir haben die Stelle gefunden, wo Björn Fredman getötet wurde«, sagte er. »Ein Bootssteg unmittelbar westlich der Stadt.«
Wallanders Mißmut nach dem unergiebigen Besuch im Krankenhaus verschwand auf der Stelle. »Gut«, sagte er.
»Ein Hinweis«, fuhr Svedberg fort. »Der Anrufer sprach von Blutflecken. Es kann ja jemand sein, der dort Fische ausgenommen hat. Aber das glaube ich kaum. Der Anrufer war Laborant. Er arbeitet seit über fünfunddreißig Jahren mit Blutproben. Außerdem behauptete er, es seien Wagenspuren in unmittelbarer Nähe. Wo normalerweise keine sind. Dort hat ein Auto gestanden. Warum nicht ein Ford Baujahr 1967?«
»In fünf Minuten können wir hinfahren und es uns ansehen«, sagte Wallander.
Sie gingen die Anhöhe hinauf. Jetzt bedeutend schneller. Wallander berichtete ihr.
Keiner von beiden dachte noch an Erika Carlman.
*
Um elf Uhr drei stieg Hoover in Ystad aus dem Zug. Er hatte beschlossen, sein Moped an diesem Tag zu Hause zu lassen. Als er den Bahnhof auf der Rückseite verließ und sah, daß die Absperrbänder der Polizei um die Grube, in die er seinen Vater gelegt hatte, verschwunden waren, spürte er einen Anflug von Enttäuschung und Zorn. Die Polizisten, die ihn verfolgten, waren viel zu schwach. Sie würden nicht einmal die einfachsten Aufnahmeprüfungen für die FB I-Akademie schaffen. Er spürte, wie Geronimos Herz wieder in ihm zu trommeln begann. Er verstand die Botschaft klar und deutlich. Er sollte das, was er schon beschlossen hatte, endgültig in die Tat umsetzen. Bevor seine Schwester ins Leben zurückkehrte, würde er ihr seine zwei letzten Opfer darbringen. |383| Zwei Skalpe unter ihrem Fenster. Und das Herz des Mädchens. Als Geschenk. Danach würde er ins Krankenhaus gehen, um sie zu holen, und sie würden es miteinander verlassen. Das Leben würde vollkommen anders werden. Eines Tages würden sie vielleicht gemeinsam in ihrem Tagebuch lesen. Sich an die Ereignisse erinnern, die sie aus dem Dunkel zurückgeführt hatten.
Er spazierte ins Stadtzentrum. Um keine Aufmerksamkeit zu erregen, hatte er Schuhe angezogen. Seine Füße mochten das nicht. Am Marktplatz bog er nach rechts ab und ging zu dem Haus, in dem der Polizist mit dem Mädchen, das seine Tochter sein mußte, wohnte. Er war an diesem Tag hergekommen, um mehr in Erfahrung zu bringen. Die Handlung selbst sollte am nächsten Abend stattfinden. Oder höchstens noch einen Tag später. Nicht mehr. Seine Schwester würde nicht länger im Krankenhaus bleiben müssen. Er setzte sich auf die Treppe eines der Nachbarhäuser. Er übte sich darin, die Zeit zu vergessen. Nur dazusitzen, ohne zu denken, bis er seine Aufgabe wieder anpackte. Noch hatte er viel zu lernen, ehe er die Kunst bis zur Vollendung beherrschte. Doch er zweifelte nicht daran, eines Tages so weit zu kommen.
Nach zwei Stunden hatte sein Warten ein Ende. Da trat sie aus der Haustür. Sie schien es eilig zu haben und lief fast in die Stadt.
Er folgte ihr und ließ sie nicht aus den Augen.
|384| 32
Als sie zu dem Bootssteg kamen, war Wallander sogleich sicher, die richtige Stelle gefunden zu haben. Die Realität hier draußen am Meer, ungefähr zehn Kilometer von Ystad entfernt, entsprach genau dem Bild, das er sich vorgestellt hatte. Sie waren der Küstenstraße gefolgt und hielten an,
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