Wallander 05 - Die falsche Fährte
nicht mehr«, sagte Wallander. »Gleich sind wir im Krankenhaus.«
Dieser Abend und die Nacht auf Freitag, den 8. Juli, wurde zu einer der chaotischsten, die Wallander in seinem ganzen Polizistenleben je erlebt hatte. Alles, was geschah, hatte einen Anstrich von Unwirklichkeit. Er würde diese Nacht nie vergessen, aber er würde auch nie sicher sein, ob er sich wirklich richtig erinnerte. Nachdem Sjösten im Krankenhaus untersucht worden war und die Ärzte Wallander die beruhigende Nachricht brachten, daß keine Lebensgefahr bestand, war Wallander von einem Streifenwagen ins Polizeipräsidium gefahren worden. Intendent Birgersson hatte sich als guter Organisator erwiesen und schien auch alles beherzigt zu haben, was Wallander ihm draußen auf Logårds Hof gesagt hatte. Er war vorausschauend genug gewesen, einen äußeren Bereich abzuteilen, in den alle Journalisten, die sich binnen kurzer Zeit versammelten, eingelassen wurden. Doch zu dem inneren Bereich, von wo die eigentliche Ermittlung geleitet wurde, hatten die Journalisten keinen Zutritt. Es war zehn Uhr, als Wallander aus dem Krankenhaus kam. Ein Kollege hatte ihm ein sauberes Hemd und eine Hose geliehen. Sie spannte allerdings um die Hüften, so daß er den Schlitz nicht zuziehen konnte. Birgersson schaltete sofort, rief den Inhaber eines der elegantesten Herrenbekleidungsgeschäfte der Stadt an und holte Wallander an den Apparat. Es war ein sonderbares Erlebnis, inmitten des ganzen Trubels zu stehen und zu versuchen, sich an seine Bundweite zu erinnern. Aber schließlich brachte ein Bote ein paar Hosen ins Präsidium, und eine davon paßte. Als Wallander aus dem Krankenhaus kam, waren Ann-Britt Höglund, Svedberg, Ludwigsson und Hamrén bereits aus Ystad eingetroffen und in die laufenden Arbeiten einbezogen worden. Die Fahndung nach dem Auto der Wachgesellschaft war angelaufen, aber bisher ergebnislos geblieben. Außerdem fanden in getrennten Zimmern zahlreiche Vernehmungen |454| statt. Den vier Mädchen waren spanische Dolmetscher zugeteilt worden. Ann-Britt Höglund sprach mit einem der Mädchen, während drei Polizistinnen aus Helsingborg sich der anderen annahmen. Die zwei Wachmänner, die von dem fliehenden Mann angefahren worden waren, wurden ebenfalls verhört, während die Kriminaltechniker Fingerabdrücke in Logårds Haus sicherten. Schließlich waren noch mehrere Polizisten an ihren Computern mit dem Herausfiltern allen zugänglichen Materials über Hans Logård beschäftigt. Trotz der vielfältigen Aktivitäten herrschte Ruhe. Birgersson machte unentwegt die Runde und hielt Ordnung, damit der Ringelreigen nicht aus dem Takt geriet. Nachdem Wallander sich über den Stand der Ermittlungen informiert hatte, zog er sich mit seinen Kollegen aus Ystad in ein Zimmer zurück und machte die Tür hinter sich zu. Er hatte mit Birgersson gesprochen und dessen Einverständnis erhalten. Wallander gewann den Eindruck, daß Birgersson als Polizeiintendent vorbildlich auftrat, eine der wirklich seltenen Ausnahmen. Er hatte so gut wie nichts von dem eifersüchtigen Gruppengeist, der so häufig in den Reihen der Polizei spukte und die Qualität ihrer Arbeit minderte. Birgersson schien sich nur für das zu interessieren, was seine vordringliche Aufgabe war: den Mann, der auf Sjösten geschossen hatte, festzunehmen, das Gesamtbild übersichtlicher zu machen und so weit zu klären, daß sie am Ende wissen würden, was geschehen und wer der Täter war.
Sie hatten Kaffee mitgenommen, die Tür war geschlossen. Hansson war per Telefon mit ihnen verbunden und binnen Sekunden erreichbar.
Wallander gab ihnen seine Version des Vorgefallenen. Doch vor allem wollte er zu einem Verständnis seiner eigenen Unruhe kommen. Es gab zu viel, das er nicht miteinander verknüpfen konnte. Der Mann, der auf Sjösten geschossen hatte, der Liljegrens Mitarbeiter gewesen war und die Mädchen versteckt gehalten hatte – war das wirklich der Mann, der in die Rolle des einsamen Kriegers geschlüpft war? Er konnte es nicht glauben. Aber die Zeit war zu knapp gewesen, um alles durchdenken zu können, dafür war es um ihn her zu chaotisch gewesen. Das Denken mußte also jetzt geleistet werden, in der Gruppe, während sie alle zusammen waren, nur |455| durch eine dünne Tür von der Außenwelt getrennt, in der die Fahndung lief, und wo keine Zeit zum Nachdenken blieb. Wallander hatte seine Kollegen beiseite genommen – und Sjösten hätte bei ihnen sein sollen, wenn er nicht im
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