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Wallander 05 - Die falsche Fährte

Wallander 05 - Die falsche Fährte

Titel: Wallander 05 - Die falsche Fährte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Fenster. Darin eine Reihe von Betten, ein Holzverschlag mit einer Toilette, ein Kühlschrank, Gläser, Tassen, Thermoskannen. In einer Ecke des Raums saßen dicht zusammengedrängt und von den Schüssen verängstigt vier junge Mädchen und klammerten sich aneinander. Mindestens zwei von ihnen erinnerten Wallander an das Mädchen, das er in Salomonssons Rapsfeld gesehen hatte. Einen Moment lang, während das Knallen der Schüsse noch in seinen Ohren dröhnte, glaubte Wallander, alles vor sich sehen zu können, das eine Ereignis nach dem anderen, alles hing zusammen, und nichts war mehr unklar. Doch in Wirklichkeit sah er überhaupt nichts, es war lediglich ein Gefühl, das geradewegs durch ihn hindurchrauschte. Es war auch gar keine Zeit, derlei Gedanken nachzuhängen. Die in der Ecke zusammengekauerten Mädchen waren wirklich, genauso wirklich war ihre Angst, und sie bedurften seiner und Sjöstens unmittelbarer Hilfe.
    »Was ist hier eigentlich los, Mensch?« sagte Sjösten zum zweitenmal.
    »Wir brauchen dringend Personal aus Helsingborg«, antwortete Wallander. »Und zwar verdammt schnell.«
    Er kniete nieder, Sjösten tat das gleiche, als wollten sie ein gemeinsames |449| Gebet sprechen, und Wallander versuchte, die verschreckten Mädchen auf englisch anzusprechen. Doch sie schienen nichts zu verstehen, zumindest verstanden sie sein Englisch sehr schlecht. Mehrere von ihnen waren bestimmt nicht älter als Dolores Maria Santana, dachte er.
    »Kannst du Spanisch?« fragte er Sjösten. »Ich kann kein Wort.«
    »Was soll ich denn sagen?«
    »Kannst du Spanisch oder nicht?«
    »Ich kann nicht Spanisch sprechen! Verdammt! Wer kann schon Spanisch? Ein paar Worte kriege ich hin. Was soll ich denn sagen?«
    »Irgendwas! Damit sie sich beruhigen.«
    »Soll ich sagen, daß ich Polizist bin?«
    »Nein! Sag irgendwas. Aber das nicht!«
    »Buenos días«
, sagte Sjösten unsicher.
    »Du mußt lächeln«, zischte Wallander. »Siehst du nicht, was sie für eine Angst haben?«
    »Ich tu doch, was ich kann«, klagte Sjösten.
    »Noch einmal«, sagte Wallander. »Aber jetzt freundlich.«
    »Buenos días«
, wiederholte Sjösten.
    Eins der Mädchen antwortete. Ihre Stimme war kaum hörbar, doch für Wallander war es, als bekomme er jetzt die Antwort, auf die er damals gewartet hatte, als das Mädchen im Rapsfeld stand und ihn mit angsterfüllten Augen anstarrte.
    Im selben Augenblick hörten sie hinter sich im Haus ein Geräusch, vielleicht von einer Tür, die geöffnet wurde. Auch die Mädchen hörten es und krochen wieder eng zusammen.
    »Das müssen die Männer der Wachgesellschaft sein«, sagte Sjösten. »Wir gehen ihnen am besten entgegen. Sonst wundern sie sich noch, was hier los ist, und machen Spektakel.«
    Wallander machte den Mädchen Zeichen zu bleiben, wo sie waren. Sie gingen durch den engen Gang zurück, diesmal Sjösten vorneweg.
    Es hätte ihn beinah das Leben gekostet. Denn als sie in den großen offenen Raum traten, aus dem die alten Zwischenwände entfernt worden waren, knallten mehrere Schüsse. Sie mußten aus |450| einer halbautomatischen Waffe abgefeuert worden sein, so schnell nacheinander kamen sie. Die erste Kugel traf Sjösten in die linke Achsel und zerschmetterte sein Schlüsselbein. Von der Wucht wurde er zurückgeworfen und landete wie ein lebender Schutzschild vor Wallander. Der zweite, dritte und vielleicht auch vierte Schuß schlug irgendwo über ihren Köpfen ein.
    »Nicht schießen! Polizei!« brüllte Wallander.
    Der Schütze, den er nicht sehen konnte, feuerte eine neue Salve ab. Sjösten wurde wieder getroffen, diesmal am rechten Ohr. Wallander warf sich hinter einen der vorstehenden Wandreste, die als Dekoration stehengeblieben waren. Er zog Sjösten mit sich, der aufschrie und dann das Bewußtsein verlor.
    Wallander suchte Sjöstens Pistole und schoß in den Raum. Er dachte unklar, daß jetzt noch zwei oder drei Schüsse im Magazin sein mußten.
    Die Antwort blieb aus. Er wartete mit hämmerndem Herzen, die Pistole im Anschlag. Dann hörte er das Geräusch eines startenden Wagens. Erst da ließ er Sjösten los und lief geduckt zu einem der Fenster. Er sah das Heck eines schwarzen Mercedes auf dem schmalen Weg in den Schutz des Buchenwalds verschwinden. Er kehrte zu Sjösten zurück, der blutig und bewußtlos am Boden lag. Er suchte seinen Puls an dem blutverschmierten Hals. Sein Puls schlug schnell. Gut, dachte Wallander. Besser das als das Gegenteil. Noch immer mit der Pistole in der Hand

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