Wallander 05 - Die falsche Fährte
die größte, die er je erlebt hatte. Doch jetzt, gegen Mitternacht, begann sich trotz allem ein Bild abzuzeichnen. Sämtliche Mädchen stammten aus der Dominikanischen Republik. Sie hatten sich unabhängig voneinander vom Land in eine der größeren Städte begeben, um Arbeit als Haushilfe oder in einer Fabrik zu finden. Verschiedene Männer, alle sehr freundlich, hatten Kontakt mit ihnen aufgenommen und ihnen Angebote gemacht, in Europa als Haushilfe zu arbeiten. Sie hatten Bilder schöner großer Häuser am Mittelmeer gesehen, ihre Löhne sollten fast das Zehnfache dessen betragen, was sie in ihrer Heimat zu verdienen hoffen konnten, wenn sie überhaupt eine Arbeit fanden. Einige von ihnen hatten gezögert, andere nicht, aber schließlich hatten sie alle ja gesagt. Man hatte ihnen Pässe ausgehändigt, die sie jedoch nicht behalten durften. Danach waren sie nach Amsterdam geflogen worden, zumindest glaubten zwei der Mädchen, daß die Stadt, in der sie gelandet waren, so hieß. Von dort waren sie in einem Kleinbus nach Dänemark gefahren worden. Vor ungefähr einer Woche waren sie mit einem Boot in der Nacht nach Schweden gekommen. Die ganze Zeit waren sie von neuen Männern umgeben, deren Freundlichkeit abnahm, je weiter die Mädchen sich von ihrer Heimat entfernt hatten. Wirkliche Angst aber hatten sie bekommen, als sie in dem |463| einsam gelegenen Hof eingeschlossen wurden. Sie waren verpflegt worden, und ein Mann hatte ihnen in schlechtem Spanisch erklärt, sie würden bald weiterfahren, die letzte Strecke. Doch da hatten sie zu ahnen begonnen, daß nichts so war, wie man ihnen versprochen hatte. Ihre Angst war in maßlosen Schrecken übergegangen.
Wallander hatte die Polizisten, die die Verhöre führten, gebeten, sehr genau nach den Männern zu fragen, die sie in den Tagen ihrer Gefangenschaft getroffen hatten. Waren es mehr als einer gewesen? Konnten sie das Boot beschreiben, das sie nach Schweden gebracht hatte? Wie hatte der Kapitän ausgesehen? War eine Besatzung an Bord gewesen? Er veranlaßte, daß eins der Mädchen zum Segelclub gebracht wurde, um herauszufinden, ob sie die Kajüte von Logårds Motorsegler wiedererkannte. Viele Fragen blieben offen, doch ein Muster zeichnete sich ab. Die ganze Zeit ging Wallander herum und suchte ein Zimmer, das gerade leer war, in dem er sich einschließen und seine eigenen Gedanken denken konnte.
Ungeduldig wartete er auf Ann-Britt Höglunds Rückkehr. Und vor allem auf die Identifizierung Hans Logårds. Er versuchte, einen Zusammenhang herzustellen zwischen einem Moped auf dem Flugplatz Sturup, einem Mann, der mit der Axt tötete und skalpierte, und einem anderen Mann, der mit einer halbautomatischen Waffe schoß. Die gesamte Ermittlung rauschte unablässig durch seinen Kopf, vorwärts und rückwärts. Die Kopfschmerzen, die am späten Nachmittag absehbar gewesen waren, hatten sich eingestellt, und er versuchte, sie mit Dispril zu bekämpfen, ohne daß sie ganz verschwanden. Sie grummelten weiter. Die Luft war stickig. Auf der dänischen Seite des Sundes gewitterte es. In weniger als achtundvierzig Stunden sollte er eigentlich in Kastrup sein.
Um fünf vor halb eins in der Nacht stand Wallander an einem Fenster, schaute hinaus in die Sommernacht und dachte, daß die Welt sich in einem ungeheuren Chaos befand. In diesem Augenblick kam Birgersson den Korridor entlanggestampft und wedelte triumphierend mit einem Stück Papier.
»Weißt du, wer Erik Sturesson ist?« fragte er.
|464| »Nein.«
»Weißt du denn, wer Sture Eriksson ist?«
»Nein.«
»Dieselbe Person. Die später noch einmal den Namen gewechselt hat. Diesmal hat er sich nicht damit begnügt, Vor- und Nachnamen umzudrehen. Jetzt hat er sich einen Namen zugelegt, der den Duft feinerer Familien atmet. Hans Logård.«
Wallander vergaß sofort das Chaos, das ihn umgab, Birgersson brachte ihm die Klarheit, die er brauchte.
»Gut«, sagte er. »Was wissen wir von ihm?«
»Die Fingerabdrücke vom Hördestigen und von den Booten waren in unseren Registern. Sie gehören Erik Sturesson und Sture Eriksson. Also keiner Person mit Namen Hans Logård. Erik Sturesson, gehen wir von dem Namen aus, weil er Hans Logårds Taufname ist, ist siebenundvierzig Jahre alt. Geboren in Skövde. Vater Berufssoldat, Mutter Hausfrau. Beide Ende der sechziger Jahre gestorben, der Vater außerdem Alkoholiker. Erik landet schnell in schlechter Gesellschaft. Mit vierzehn zum erstenmal straffällig. Von da an geht es Schlag auf
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