Wallander 05 - Die falsche Fährte
gestellt? Er suchte danach. Fand nichts. Die Fragen waren gestellt. Nur die Antworten fehlten.
Deshalb war er erleichtert, als Ann-Britt Höglund ins Zimmer trat. Es war drei Minuten vor eins. Er beneidete sie wieder um ihre Bräune. Sie setzten sich.
»Louise war nicht da«, sagte sie. »Ihre Mutter war betrunken. |467| Aber sie schien sich wirklich Sorgen um ihre Tochter zu machen. Sie konnte überhaupt nicht begreifen, was passiert war. Ich glaube, sie hat die Wahrheit gesagt. Sie tat mir schrecklich leid.«
»Hatte sie überhaupt keine Idee?«
»Nichts. Und sie hatte lange darüber gegrübelt.«
»War das schon früher einmal vorgekommen?«
»Nie.«
»Und der Sohn?«
»Der ältere oder der jüngere?«
»Der ältere. Stefan.«
»Er war nicht zu Hause.«
»War er unterwegs, um seine Schwester zu suchen?«
»Wenn ich die Mutter richtig verstanden habe, bleibt er dann und wann weg. Aber eines ist mir aufgefallen. Ich habe darum gebeten, mich umsehen zu dürfen. Für den Fall, daß Louise doch da wäre. Ich ging in Stefans Zimmer. Die Matratze in seinem Bett fehlte. Da war nur ein einfacher Überwurf. Die Matratze weg und weder ein Kissen noch eine Decke.«
»Hast du sie gefragt, wo er sein könnte?«
»Leider nicht. Aber ich vermute, sie hätte eh nicht antworten können.«
»Sagte sie, wie lange er schon weg war?«
Sie dachte nach und schaute in ihre Notizen.
»Seit gestern nachmittag.«
»Also die gleiche Zeit, in der Louise verschwand.«
Sie sah ihn verwundert an.
»Du meinst, er könnte sie geholt haben? Wo sind sie dann?«
»Zwei Fragen, eine Antwort. Ich weiß es nicht.«
Wallander spürte ein schleichendes Unbehagen, das sich in seinem Körper ausbreitete. Er konnte es nicht näher definieren, aber es war da.
»Du hast nicht zufällig die Mutter gefragt, ob Stefan ein Moped hat?«
Er sah ihr an, daß sie verstand, was er andeutete.
»Nein«, sagte sie.
»Ruf sie an. Frag sie. Sie trinkt nachts. Du weckst sie nicht.«
Sie tat, was er sagte. Es dauerte lange, bis Anette Fredman sich |468| meldete. Das Gespräch war sehr kurz. Ann-Britt Höglund legte den Hörer auf. Wallander konnte ihr ihre Erleichterung ansehen.
»Er hat kein Moped«, sagte sie. »Jedenfalls nicht, soweit ihr bekannt ist. Außerdem ist Stefan wohl noch nicht fünfzehn?«
»Es war nur ein Gedanke«, sagte Wallander. »Wir müssen es wissen. Im übrigen ist es eher fraglich, ob Jugendliche sich heute darum kümmern, was erlaubt ist und was nicht.«
»Der kleine Junge wurde wach, als ich gehen wollte«, sagte sie. »Er schlief auf dem Sofa neben der Mutter. Ich glaube, das hat mich am unangenehmsten berührt.«
»Daß er wach wurde?«
»Nein. Als er mich sah. Ich glaube, ich habe noch nie bei einem Kind so angsterfüllte Augen gesehen.«
Wallander schlug mit der geballten Faust auf den Tisch. Sie zuckte zusammen.
»Jetzt weiß ich es«, sagte er. »Was mir die ganze Zeit nicht einfallen wollte. Verdammt!«
»Was?«
»Warte mal. Warte einen Moment …«
Wallander massierte sich die Schläfen, um die Erinnerung hervorzuzwingen, die so lange in seinem Unbewußten Unruhe gestiftet hatte. Jetzt war es da.
»Erinnerst du dich an die Ärztin in Malmö, die Dolores Maria Santana obduziert hat?«
Sie dachte nach.
»Wie hieß sie noch?« fragte Wallander. »Etwas mit Malm-?«
»Svedberg hat ein gutes Gedächtnis. Ich hole ihn.«
»Nicht mehr nötig. Ich hab’s. Sie hieß Malmström. Die brauche ich. Und zwar auf der Stelle. Ich will, daß du das machst. Jetzt, sofort.«
»Warum denn?«
»Das erklär ich dir später.«
Sie stand auf und verließ den Raum. Wallander konnte kaum fassen, was er jetzt ernsthaft zu glauben begann. Konnte wirklich Stefan Fredman in das Ganze verwickelt sein? Er griff zum Telefonhörer und rief Per Åkeson an. Åkeson meldete sich sofort. Obwohl Wallander eigentlich keine Zeit hatte, schilderte er ihm in |469| knappen Sätzen die Lage. Dann kam er auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen.
»Ich will, daß du mir einen Gefallen tust«, sagte er. »Jetzt, mitten in der Nacht. Daß du in dem Krankenhaus anrufst, wo Louise Fredman war, und sie bittest, die Seite im Besucherbuch zu kopieren, auf der sich derjenige, der sie abholte, eingetragen hat. Und daß sie die Seite nach Helsingborg faxen.«
»Mensch. Wie stellst du dir vor, soll das gehen?«
»Keine Ahnung«, sagte Wallander. »Aber es kann wichtig sein. Sie können alle anderen Namen auf der Seite streichen. Ich will nur
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