Wallander 06 - Die fünfte Frau
Svenstavik auf ihn. Er ging auf sein Zimmer und rief ihn an. Melanders Frau war am Apparat. Wallander stellte sich vor und bedankte sich auch gleich für das gute Essen, das er am Tag zuvor bekommen hatte. Dann kam Melander selbst ans Telefon.
»Ich konnte nicht anders gestern abend, als mir noch ein paar Gedanken zu machen«, sagte er. »Über dies und das. Ich habe auch den alten Postmeister angerufen. Ture Emmanuelsson heißt er. Er konnte bekräftigen, daß Krista Haberman regelmäßig Ansichtskarten aus Schonen bekam, und zwar viele. Aus Falsterbo, meinte er sich zu erinnern. Ich weiß ja nicht, ob das etwas zu bedeuten hat. Aber ich wollte es Ihnen auf jeden Fall sagen. Ihre Vogelpost war groß.«
»Woher wußten Sie, wo ich wohne?« fragte Wallander.
»Ich habe einfach die Polizei in Ystad angerufen und gefragt«, antwortete Melander.
»Skanör und Falsterbo sind bekannte Treffpunkte für Vogelbeobachter«, sagte Wallander. »Das ist die einzige plausible Erklärung dafür, daß sie so viele Karten von dort bekommen hat. Danke, daß Sie sich die Mühe gemacht haben, mich anzurufen.«
»Man macht sich ja seine Gedanken«, sagte Melander. »Warum dieser Autohändler unserer Kirche Geld vermacht.«
»Früher oder später wissen wir die Antwort«, sagte Wallander. »Danke jedenfalls, daß Sie angerufen haben.«
Wallander blieb sitzen, nachdem das Gespräch zu Ende war. Es war noch nicht acht. Er dachte an den plötzlichen Anfall von Kraftlosigkeit, den er auf dem Bahnhof gehabt hatte. Das Gefühl, etwas Unüberwindbares vor sich zu haben. Er dachte auch an das Gespräch mit Linda am vergangenen Abend. Und nicht zuletzt |302| dachte er an das, was Melander gesagt hatte, und was ihm nun bevorstand. Er befand sich in Gävle, weil er einen Auftrag hatte. Es waren noch sechs Stunden bis zum Abflug seiner Maschine. Den Mietwagen würde er in Arlanda zurückgeben. Er holte ein paar Papiere, die er in einer Plastikhülle in seiner Tasche hatte. Ann-Britt Höglund hatte geschrieben, er solle als erstes Kontakt mit einem Polizeiinspektor namens Sten Wenngren aufnehmen. Er war den Sonntag über zu Hause und auf Wallanders Anruf vorbereitet. Außerdem hatte sie den Namen des Mannes aufgeschrieben, der in der Zeitung der Söldner annonciert hatte. Er hieß Johan Ekberg und wohnte in Brynäs. Wallander trat ans Fenster. Das Wetter war mehr als trist. Es hatte zu regnen begonnen, ein kalter Herbstregen. Wallander fragte sich, ob er wohl in Schneeregen übergehen würde. Und er fragte sich, ob der Wagen Winterreifen hatte. Vor allem aber fragte er sich, was er eigentlich hier in Gävle verloren hatte. Mit jedem Schritt, den er tat, schien er sich weiter von einem Zentrum fortzubewegen, das ihm zwar unbekannt war, das es aber doch irgendwo geben mußte.
Das Gefühl, daß er etwas übersah, daß er ein grundlegendes Muster im Bild dieses Verbrechens mißverstand oder falsch interpretierte, überkam ihn aufs neue. Das Gefühl führte ihn zu der immer gleichen Frage: Warum diese demonstrative Brutalität? Was wollte der Täter mitteilen?
Die Sprache des Mörders. Der Kode, den er noch nicht geknackt hatte.
Er schüttelte sich, gähnte und packte seine Tasche. Da er nicht wußte, worüber er mit Sten Wenngren sprechen sollte, entschied er sich, direkt zu Johan Ekberg zu fahren. Wenn es auch sonst nichts brachte, würde er vielleicht einen Einblick in die dunkle Welt bekommen, in der Soldaten für den Meistbietenden zu haben waren. Er nahm die Tasche und verließ das Zimmer, bezahlte an der Rezeption und erkundigte sich nach dem Weg zur Södra Fältskärnsgatan in Brynäs. Dann fuhr er mit dem Aufzug in die Tiefgarage. Als er im Wagen saß, überfiel ihn die Kraftlosigkeit wieder. Er blieb sitzen, ohne den Wagen zu starten. Wurde er krank? Er fühlte sich nicht schlecht, nicht einmal besonders müde.
Dann sagte er sich, daß es mit seinem Vater zu tun hatte. Es war |303| eine Reaktion auf alles, was geschehen war. Vielleicht ein Teil der Trauer. Der Versuch, sich nach der dramatischen Veränderung seines Lebens der neuen Situation anzupassen. Es gab keine andere Erklärung. Linda reagierte auf ihre Weise. Er selbst reagierte auf den Verlust des Vaters mit wiederkehrenden Anfällen von Kraftlosigkeit.
Er ließ den Wagen an und fuhr aus der Garage. Der Mann an der Rezeption hatte eine klare und deutliche Wegbeschreibung gegeben. Trotzdem fuhr Wallander von Anfang an falsch. Die Stadt war sonntäglich leer. Wallander hatte das
Weitere Kostenlose Bücher