Wallander 07 - Mittsommermord
etwa sechzigjährigen Kriminalinspektor mit Namen Rytter, hatte Wallander schon einmal getroffen. Die beiden anderen, jüngere Männer, waren ihm unbekannt. Wallander begrüßte sie, blieb jedoch nicht. Weil die USA mindestens sechs Stunden Zeitdifferenz zu Schweden hatten, bat er Martinsson, sich im Laufe des Abends bei ihm zu melden. Danach ging er in sein Büro und begann, die Papiere aus Lena Normans Wohnung gründlich durchzulesen. Der Text war zum großen Teil auf englisch, viele Wörter mußte er nachschlagen. Es war eine ermüdende Arbeit, und er bekam bohrende Kopfschmerzen. Er hatte ungefähr die Hälfte durchgesehen, als Martinsson anklopfte. Es war inzwischen nach elf. Martinsson war bleich und hohläugig. Wallander fragte sich, wie er wohl selbst aussah.
»Wie geht es?« fragte er.
»Es sind gute Polizisten«, antwortete Martinsson. »Besonders der ältere, glaube ich. Rytter.«
»Wir werden sehr schnell merken, daß wir sie hier haben«, sagte Wallander, um ihn aufzumuntern. »Sie werden uns entlasten.«
Martinsson löste mit einer müden Geste seinen Schlips und knüpfte den Hemdkragen auf.
»Ich habe einen Auftrag für dich«, sagte Wallander.
Er berichtete ausführlich von dem Fund in Lena Normans Wohnung. Martinsson wurde langsam wieder munter. Die Vorstellung, bald mit den amerikanischen Kollegen Kontakt aufnehmen zu können, verlieh ihm neue Energie.
»Hauptsache ist, wir bekommen ein Bild von dieser Organisation«, endete Wallander. »Natürlich mußt du auch beschreiben, |368| was hier bei uns passiert ist. Svedbergs Tod und die vier Jugendlichen. Gib ihnen ein detailliertes Bild davon, wie es am Tatort aussah. Leih dir eine von Nybergs Übersichtskarten. Vor allem wollen wir wissen, ob der Funke überspringt. Haben sie etwas Vergleichbares gehabt? Stell erst einmal den Kontakt her. Wir komplettieren die Sache dann morgen im Laufe des Tages. Natürlich werden wir auch mit der europäischen Polizei reden. Diese Sekte gibt es vermutlich nicht nur in Amerika und Schweden.«
Martinsson blickte auf die Uhr. »Es ist vielleicht nicht die beste Tageszeit, um Kontakt aufzunehmen«, meinte er. »Aber ich mache einen Versuch.«
Wallander stand auf und stapelte die Mappen aufeinander. Gemeinsam gingen sie hinaus und kopierten die Papiere, die Wallander noch nicht gelesen hatte.
»Neben Drogen sind es in erster Linie Sekten, vor denen ich Angst habe«, sagte Martinsson plötzlich. »Meiner Kinder wegen. Daß sie in einen religiösen Alptraum geraten, aus dem sie sich nicht wieder befreien können. Und wo ich sie nicht mehr erreichen kann.«
»Es gab eine Zeit, da habe ich mir wegen Linda Sorgen gemacht«, antwortete Wallander. »Da ging es genau um das, wovon du redest.«
Mehr sagte er nicht. Martinsson stellte auch keine Fragen. Der Kopierer blieb plötzlich stehen. Martinsson legte einen neuen Papierstapel ein. Wallander dachte an Svedberg.
»Svedberg wurde doch einmal beim Justiz-Ombudsmann angezeigt. Wir haben erst kürzlich darüber gesprochen. Hast du in der Sache schon etwas herausgefunden?«
Martinsson sah ihn fragend an. »Hast du die Papiere nicht bekommen?«
»Welche Papiere?«
»Die Kopie der Anzeige beim Ombudsmann? Sie haben sie geschickt. Zusammen mit der Stellungnahme des JO.«
»Ich habe nichts gesehen.«
»Sie sollten in dein Zimmer gelegt werden.«
Während Martinsson weiter kopierte, ging Wallander zurück |369| in sein Zimmer. Er hob alle Mappen an, die auf dem Tisch lagen. Aber Papiere vom Ombudsmann fand er nicht. Martinsson kam mit dem Berg kopierter Papiere.
»Hast du es gefunden?«
»Hier ist nichts.«
Martinsson lud den Papierberg auf Wallanders Tisch ab. »Papiere haben eine sonderbare Fähigkeit, sich in Luft aufzulösen. Wenn alle erst Computer haben, kommt das nicht mehr vor.«
»Das wird dann nach meiner Zeit sein«, meinte Wallander, der Computer noch immer mit einer gewissen Skepsis betrachtete.
»Schon im September startet ein Versuch mit dem EER«, sagte Martinsson. »Dann bist du gezwungen, wenigstens die Grundbegriffe zu lernen.«
EER stand für Elektronische Ermittlungsroutinen. Aber was das eigentlich bedeutete, wußte Wallander nicht. Man ging von der Annahme aus, daß die Polizei durch die Ausstattung mit EDV mindestens eine halbe Million Arbeitsstunden für andere Arbeiten erübrigen könne. Aber Wallander fragte sich gleichzeitig, wieviel Zeit dadurch verlorengehen würde, daß Polizisten wie er wahrscheinlich nie lernen würden, das
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