Wallander 07 - Mittsommermord
stellte sich vor und entschuldigte sich für den frühen Anruf.
»Ich hole ihn«, sagte sie. »Er sägt Holz.«
Wallander meinte, im Hintergrund das Geräusch einer Kreissäge zu hören. Das Geräusch verstummte. Jetzt riefen ein paar Kinder. Dann kam Westin ans Telefon. Sie begrüßten sich.
»Sie sägen Holz«, sagte Wallander.
|375| »Die Kälte kommt schneller, als man glaubt«, erwiderte Westin. »Wie geht es? Ich versuche, die Zeitungen zu lesen und fernzusehen. Mehr als gewöhnlich. Wisst Ihr schon, wer es war?«
»Noch nicht. Das dauert seine Zeit. Aber früher oder später schnappen wir den Täter.«
Westin schwieg. Wahrscheinlich hatte er den Optimismus durchschaut, dem Wallander Ausdruck verlieh. Reiner Zweckoptimismus. Aber notwendig. Pessimistischen Polizisten gelang es selten, komplizierte Verbrechen aufzuklären.
»Erinnern Sie sich an unser Gespräch auf dem Weg hinaus nach Bärnsö?« fragte Wallander.
»Welches?« antwortete Westin. »Ich meine mich zu erinnern, daß wir uns zwischen allen Anlegebrücken unterhalten haben.«
»Eins unserer Gespräche war etwas länger als die anderen. Ich glaube, es war das erste.«
Plötzlich erinnerte sich Wallander:
Westin hatte die Fahrt gedrosselt. Sie näherten sich dem ersten Anleger. Oder vielleicht dem zweiten. Die Insel hatte einen Namen, der an Bärnsö erinnerte.
»Es war an einem der ersten Anleger«, sagte Wallander. »Wie heißen die Inseln?«
»Das müßte Harö oder Bätsmansö gewesen sein.«
»Bätsmansö. Wo der alte Mann lebt.«
»Zetterqvist.«
Wallander fielen jetzt Details ein. »Wir waren kurz vor dem Anleger. Sie erzählten von Zetterqvist, der auch im Winter allein dort draußen zurechtkommt. Fällt Ihnen ein, was Sie da außerdem noch gesagt haben?«
Westin lachte. Aber ganz und gar nicht unfreundlich. »Ich kann wohl so ziemlich alles gesagt haben.«
»Ich weiß, daß Ihnen dies alles komisch vorkommen muß«, meinte Wallander. »Aber es ist wichtig.«
Westin schien einzusehen, daß Wallander es ernst meinte. »Ich glaube, Sie haben gefragt, wie es denn so sei, als Postbootfahrer«, sagte er.
»Dann stelle ich die Frage jetzt noch einmal. Wie ist es, draußen in den Schären Post auszufahren? Was sagen Sie?«
|376| »Daß man frei ist. Aber manchmal ist es mühsam. Und niemand weiß, wie lange die Post mich noch beschäftigt. Bald wird wohl das letzte bißchen Service für die Schärenbevölkerung auch noch eingestellt. Zetterqvist hat einmal zu mir gesagt, er wollte eine Vorbestellung machen für seinen Transport zum Friedhof. Sonst bestände wohl die Gefahr, daß er draußen in seiner Stuga liegenbliebe.«
»Das letzte haben Sie nicht gesagt. Daran würde ich mich erinnern. Ich frage Sie noch einmal: Wie ist es eigentlich so als Postbootfahrer draußen in den Schären?«
Westin antwortete zögernd. »Ich glaube, viel mehr habe ich nicht gesagt.«
Wallander wußte, daß es mehr gewesen war. Eine alltägliche Phrase. Darüber, was es bedeutete, mit Post und Lebensmitteln zwischen den Inseln hin und her zu fahren.
»Wir waren kurz vor der Anlegebrücke«, wiederholte Wallander. »Daran kann ich mich erinnern. Wir machten kaum noch Fahrt. Sie hatten von Zetterqvist erzählt. Dann sagten Sie noch etwas.«
»Ich sagte vielleicht, daß man ein Auge auf die Leute hat. Wenn jemand nicht auftaucht. Dann geht man an Land und sieht nach, ob alles in Ordnung ist.«
Fast, dachte Wallander. Jetzt sind wir fast dran.
Aber du hast noch mehr gesagt, Lennart Westin. Ich weiß es genau.
»An etwas anderes kann ich mich nicht erinnern«, sagte Westin.
»Nicht lockerlassen. Noch nicht ganz. Versuchen Sie’s.«
Doch Westin fiel nichts mehr ein. Wallander gelang es nicht, ihm dabei zu helfen, die Lücke aufzufüllen.
»Denken Sie weiter darüber nach«, bat Wallander. »Und rufen Sie mich an, wenn Ihnen noch etwas einfällt.«
»Ich bin zwar in der Regel nicht neugierig. Aber warum ist das so wichtig?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Wallander einfach. »Aber wenn ich es weiß, erkläre ich es Ihnen. Das verspreche ich.«
Nach dem Gespräch befiel Wallander auf einmal Hoffnungslosigkeit. Nicht nur, weil es ihm nicht gelungen war, Westin das Gewünschte |377| zu entlocken. Sondern auch deshalb, weil er sich wahrscheinlich nur einbildete, die fehlenden Wörter seien von Bedeutung. Der Gedanke daran, aufzugeben, Lisa Holgersson darum zu bitten, die Verantwortung einem anderen zu übertragen, wurde immer verlockender. Doch dann
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