Wallander 07 - Mittsommermord
man sich Sorgen macht«, gab Wallander zurück.
Sie reichte ihm hastig die Hand und verschwand durch die Glastür.
Er ging zurück zu seinem Zimmer. Martinsson steckte den Kopf aus seiner Tür und sah ihn neugierig an. »Was habt ihr denn da drinnen gemacht?«
»Sie hat wirklich Angst«, sagte Wallander. »Ihre Sorge ist echt. Wir müssen uns irgendwie dazu verhalten. Ich weiß nur noch nicht, wie.«
Wallander betrachtete Martinsson nachdenklich. »Ich möchte das Ganze morgen gern noch einmal durchgehen. Mit allen, die Zeit haben. Wir müssen eine Entscheidung treffen. Sollen wir eine Suche veranlassen oder nicht? Irgendwas an dieser Sache macht mir Kopfzerbrechen.«
Martinsson nickte. »Hast du Svedberg gesehen?« fragte er.
»Hat er noch immer nichts von sich hören lassen?«
»Nichts. Immer nur der Anrufbeantworter.«
Wallander verzog das Gesicht. »Das sieht ihm gar nicht ähnlich.«
»Ich versuche es gleich noch einmal.« Wallander ging zu seinem Zimmer, schloß die Tür hinter sich und rief Ebba an. »Stell bitte in der nächsten halben Stunde kein Gespräch durch. Hast du übrigens etwas von Svedberg gehört?«
»Sollte ich?«
»Ich frage nur so.«
Wallander legte die Beine auf den Schreibtisch. Er war müde, und sein Mund war trocken. Er faßte einen Beschluß, zog seine Jacke an und verließ das Zimmer.
»Ich bin unterwegs«, sagte er zu Ebba. »In einer oder zwei Stunden bin ich zurück.«
Es war immer noch warm und windstill. Wallander ging zur Stadtbibliothek am Surbrunnsväg. Mühsam suchte er zwischen den Regalen, bis er zur medizinischen Literatur kam. Er fand schnell, was er suchte. Ein Buch über Diabetes. Er setzte sich an einen Tisch, holte seine Brille hervor und begann zu lesen.
Anderthalb Stunden später meinte er, sich ein Bild der Krankheit |48| gemacht zu haben. Er sah auch ein, daß er selbst viel Schuld daran hatte. Seine Eßgewohnheiten, der Bewegungsmangel, verschiedene Schlankheitskuren, die nur dazu geführt hatten, daß er binnen kurzem noch mehr wog.
Er stellte das Buch wieder ins Regal. Ein Gefühl von Selbstverachtung und Scheitern hatte sich seiner bemächtigt. Gleichzeitig wußte er, daß es jetzt kein Zurück mehr gab. Er mußte sein Leben umstellen.
Um halb fünf kehrte er ins Präsidium zurück. Auf seinem Schreibtisch lag ein Zettel von Martinsson. Er hatte Svedberg noch immer nicht erreicht.
Wallander las noch einmal die Zusammenfassung über das Verschwinden der jungen Leute. Studierte die Postkarten. Das Gefühl, etwas zu übersehen, stellte sich wieder ein. Auch diesmal gelang es ihm nicht, den Gedanken klar zu fassen. Was hatte er übersehen?
Er fühlte seine Unruhe wachsen. Er meinte, Eva Hillström wieder auf seinem Besucherstuhl sitzen zu sehen.
Plötzlich erkannte er den Ernst der Situation. Es war sehr einfach.
Sie wußte, daß ihre Tochter die Karte nicht geschrieben hatte. Warum sie es wußte, spielte keine Rolle.
Sie wußte es. Das reichte.
Wallander stand auf und trat ans Fenster.
Etwas war diesen Jugendlichen zugestoßen.
Die Frage war nur, was.
|49| 3
An diesem Abend versuchte Wallander, wenn auch in begrenztem Umfang, ein neues Leben zu beginnen. Er aß nichts außer einem Salat, dazu trank er eine dünne Bouillon. Er war so davon in Anspruch genommen, nichts Unpassendes auf seinen Teller gelangen zu lassen, daß ihm die Waschzeit, für die er sich eingetragen hatte, erst einfiel, als es schon zu spät war.
Er versuchte das Positive seiner neuen Situation zu sehen. Ein zu hoher Blutzuckergehalt war kein Todesurteil. Er hatte lediglich eine Warnung bekommen. Wenn er in Zukunft normal weiterleben wollte, mußte er ein paar einfache Veränderungen in seinen Gewohnheiten vornehmen, kaum dramatische, aber grundlegende. Nach dem Essen fühlte er sich ebenso hungrig wie zuvor. Er aß noch eine Tomate. Dann blieb er am Küchentisch sitzen und versuchte, sich anhand der Diätlisten einen Speiseplan für die nächsten Tage aufzustellen. Er beschloß auch, nur noch zu Fuß zum Präsidium und zurück zu gehen. Samstags und sonntags würde er ans Meer fahren und lange Spaziergänge machen. Er erinnerte sich daran, mit Hansson einmal darüber gesprochen zu haben, gemeinsam Badminton zu spielen. Vielleicht war der Zeitpunkt jetzt gekommen?
Um neun Uhr stand er vom Küchentisch auf. Er öffnete die Balkontür und trat hinaus. Ein schwacher Wind wehte aus Süden. Aber es war immer noch warm.
Die Hundstage standen bevor.
Unten auf der Straße
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