Wallander 07 - Mittsommermord
erzählen, daß ich angerufen habe. Und worum ich gebeten habe.«
»Vielleicht«, gab der Junge zurück.
Drei verschiedene Reaktionen, dachte Wallander. Eva Hillström hat Angst. Lillemor Norman ist mißtrauisch. Martin Boges Eltern finden es schön, daß ihr Sohn nicht zu Hause ist. Und sein Bruder wiederum scheint es vorzuziehen, wenn die Eltern fort sind.
Er zog seine Jacke an und ging. In der Waschküche trug er sich für eine andere Zeit am Freitag ein. Obwohl es bis zur Käringgata nicht weit war, nahm er den Wagen. Von morgen an würde er sich mehr bewegen.
|55| Vom Bellevueväg bog er in die Käringgata ein und hielt vor einem weißen einstöckigen Haus. Als er durchs Gartentor trat, öffnete sich die Haustür. Er erkannte Lillemor Norman. Im Gegensatz zu Eva Hillström war sie vollschlank. Er erinnerte sich an die Fotos in Martinssons Mappe. Lena Norman und ihre Mutter ähnelten sich.
Sie hatte einen weißen Umschlag in der Hand.
»Es tut mir leid, daß ich störe«, sagte Wallander.
»Mein Mann wird ein Wörtchen mit Lena zu reden haben, wenn sie wieder da ist. Es ist doch vollkommen unverantwortlich, einfach auf diese Art und Weise zu verschwinden.«
»Trotz allem sind sie ja volljährig«, erwiderte Wallander. »Aber natürlich ist man irritiert. Und macht sich Sorgen.«
Er nahm den Brief und versprach, ihn bald zurückzuschicken.
Dann fuhr er ins Präsidium. Er trat in das Zimmer des wachhabenden Beamten. Der telefonierte, aber er zeigte auf ein Fax. Klas Boge hatte den Brief seines Bruders geschickt. Wallander ging in sein Zimmer und knipste die Schreibtischlampe an. Er legte die beiden Briefe und die Postkarten nebeneinander. Stellte die Lampe ein und setzte die Brille auf.
Martin Boge beschrieb seinem Bruder ein Rugbyspiel, das er gesehen hatte. Lena Norman schrieb von einer Pension in Südengland, in der das warme Wasser nicht funktionierte.
Wallander lehnte sich zurück.
Sein Gedanke war richtig gewesen.
Sowohl Martin Boges als auch Lena Normans Handschrift waren unregelmäßig und ruckhaft. Ihre Unterschriften ebenso.
Wenn jemand eine der drei Handschriften kopieren wollte, war die Wahl sehr einfach.
Astrid Hillströms.
Ein Gefühl des Unbehagens durchfuhr ihn. Gleichzeitig dachte er methodisch. Was besagte dies? Eigentlich nichts. Es beantwortete nicht die Frage, warum jemand die Postkarten gefälscht haben sollte. Und wer hatte überhaupt Zugang zu ihren Handschriften?
Er wurde seine Unruhe nicht los. Wenn etwas passiert ist, sind fast zwei Monate ungenutzt vergangen, dachte er.
|56| Er holte sich eine Tasse Kaffee. Es war inzwischen Viertel nach zehn geworden. Noch einmal las er die Beschreibung des Ablaufs der Ereignisse durch. Aber es gab darin nichts Überraschendes.
Ein paar Jugendliche, gute Freunde, hatten geplant, das Mittsommerfest gemeinsam zu feiern. Dann waren sie auf eine Reise gegangen. Sie hatten Postkarten nach Hause geschickt. Das war alles.
Wallander nahm die Briefe und legte sie zusammen mit den Postkarten in die Mappe. Heute abend konnte er nichts mehr tun. Morgen würde er mit Martinsson und den anderen reden. Sie würden noch einmal auf die Zeit um Mittsommer zurückblicken und dann entscheiden, ob sie eine Suchaktion veranlassen sollten oder nicht.
Wallander löschte das Licht und verließ sein Zimmer. Als er den Flur entlangging, bemerkte er, daß bei Ann-Britt Höglund noch Licht brannte. Die Tür war angelehnt. Er schob sie vorsichtig ein Stück weiter auf.
Ann-Britt Höglund saß da und starrte auf ihren Schreibtisch. Aber sie hatte keine Papiere vor sich. Nur die leere Schreibtischplatte.
Wallander zögerte. Sie befand sich selten spätabends im Präsidium. Sie hatte Kinder, um die sie sich kümmern mußte. Ihr Mann war Reisemonteur und selten zu Hause. Gleichzeitig erinnerte er sich an ihre heftige Reaktion im Eßraum. Und jetzt saß sie da und starrte ihre leere Schreibtischplatte an.
Es war gut möglich, daß sie in Ruhe gelassen werden wollte. Aber vielleicht brauchte sie jemanden, mit dem sie reden konnte.
Sie kann mich ja immer bitten, sie allein zu lassen, dachte Wallander. Mehr kann ja nicht passieren.
Er klopfte an, wartete auf ihre Antwort und trat ins Zimmer.
»Ich sah das Licht bei dir«, sagte er. »Sonst bist du ja um diese Zeit nicht hier. Wenn nichts Besonderes vorliegt.«
Sie sah ihn an, ohne zu antworten.
»Wenn du deine Ruhe haben möchtest, sag es einfach.«
»Nein«, entgegnete sie, »eigentlich will ich das wohl
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