Wallander 07 - Mittsommermord
die Warnung zu vergessen.
Er blickte aufs Wasser hinaus. Weit draußen glaubte er den blassen Widerschein der Lichter eines Schiffs erahnen zu können.
Während er langsam am dunklen Strand entlangwanderte, ging er alle Ereignisse noch einmal durch. Baute verschiedene Gedankengänge auf und verwarf sie wieder, versuchte, ungleiche Gedankenpaare einander anzugleichen. Stellte sich vor, den Spuren des Täters langsam und tastend zu folgen. Versuchte, sich ihm ganz nah zu fühlen. Rydberg hatte nie gezweifelt, wenn er von den unsichtbaren Abdrücken sprach, die ein Mörder stets zurückließ. Den Abdrücken, die man erahnen mußte.
Und die oft entscheidend waren.
Wallander war davon überzeugt, daß der Mann, der aus dem Meer aufgetaucht war, der Mann mit dem gestreiften Handtuch, derjenige war, den sie suchten. Einen anderen denkbaren Kandidaten gab es nicht. Er war der Mann, der draußen im Reservat gewesen war. Dann in Svedbergs Wohnung. Und jetzt war er dem Meer entstiegen. Am Strand, in einer kleinen Grube, hatte seine Waffe gelegen, auf einem Weg in der Nähe hatte sein Auto gestanden.
Über dies alles hatte Wallander bereits mit den anderen gesprochen. Er hatte betont, wie wichtig es sei, daß alle Menschen, von denen sie jetzt Informationen zu bekommen suchten, darauf hingewiesen wurden.
Der Mann, der aus dem Meer gestiegen war, mußte mindestens einmal zuvor dagewesen sein. Vermutlich öfter. Er mußte am etwa gleichen Platz gesessen und im Sand gegraben haben. Es konnte in der Nacht gewesen sein. Aber ebensogut am Tag. Sie brauchten eine Beschreibung des Mannes. Wie groß war er? Hatte er sich irgendwie auffallend bewegt? Alles war wichtig.
Die äußere Fahndung muß mit der inneren verwoben werden, dachte Wallander. Wenn wir ihn nicht auf einer Straße finden, stoßen wir in unserer Ermittlung auf ihn. Irgendwo in diesen ständig wachsenden Papierhaufen wird er sich zeigen.
Wallander versuchte, der allereinfachsten und grundlegendsten |408| Logik zu folgen. Sie wußten, daß sie ein und denselben Täter suchten. Nichts sprach dafür, daß es sich um mehr als einen handelte. Sie wußten außerdem, daß er gut informiert sein mußte, über seine Opfer, ihr Leben, ihre Gewohnheiten. Nicht zuletzt über ihre Geheimnisse. Wallander hatte bereits veranlaßt, daß die Polizei in Malmö das Fotoatelier von Rolf Haag durchsuchte. Wie hatte das Brautpaar Kontakt zu ihm aufgenommen? Wie war der Platz bestimmt worden? Irgendwo lag der entscheidende Punkt, von dem aus die Ermittlung sich öffnen würde. Sie suchten nach der Schwachstelle, wo die Wände am dünnsten waren und sie hindurchdringen konnten.
Sie wußten, daß der Täter äußerst gut informiert war. Wie aber kam er an seine Informationen? Und was trieb ihn? Sie wußten auch, daß die Morde im Reservat und der Mord an dem Brautpaar eine entscheidende Ähnlichkeit aufwiesen: Die Opfer waren festlich gekleidet. Doch gab es noch weitere Berührungspunkte? Das vor allem mußten sie herausfinden. Wie ließen sich Torbjörn Werner und Malin Skander beispielsweise mit Astrid Hillström verknüpfen?
Wallander spürte, daß er jetzt nahe daran war. Ganz nahe an dem großen Geheimnis. Aber er konnte es nicht greifen. Noch nicht. Die Erklärung kann ganz einfach sein, dachte er. So einfach, daß ich sie übersehe. Als wenn man die Brille sucht, die man schon auf der Nase hat.
Langsam begann er zurückzugehen. In einiger Entfernung leuchteten die Scheinwerfer. Jetzt versuchte er, Svedbergs Spuren zu folgen. Wen hatte er in seine Wohnung eingelassen? Wer war Louise? Wer hatte die Postkarten aus verschiedenen europäischen Städten geschickt? Was hast du gewußt, Svedberg? Warum wolltest du nicht einmal mit mir darüber sprechen? Mit mir, der ich Ylva Brink zufolge dein engster Freund war.
Wieder hielt er inne. Warum hatte Svedberg eigentlich über nichts reden wollen? Es konnte nur eine sinnvolle Erklärung geben. Er hatte gehofft, sich zu irren. Seine Furcht, eine entsetzliche Wahrheit könne offenbar werden, hatte ihn davon abgehalten, etwas zu sagen.
Es gab keine andere Möglichkeit.
|409| Svedberg hatte recht gehabt. Seine Furcht war nicht unbegründet gewesen. Deshalb war er getötet worden.
Wallander hatte sich wieder den Absperrungen genähert. Immer noch standen Menschen dort und betrachteten den Epilog des düsteren Schauspiels, von dessen eigentlicher Handlung sie nichts mitbekommen hatten.
Als Wallander zu den Dünen hinaufkam, traf er auf Nyberg,
Weitere Kostenlose Bücher