Wallander 07 - Mittsommermord
sagte sie. »Aber bestimmt nicht das hier.«
»Trotzdem muß man damit klarkommen«, erwiderte Wallander. »Du hast dir sicher auch nicht vorgestellt, daß du eines Tages angeschossen werden würdest.«
»Ich habe es aber versucht. Als wir Waffentraining hatten. Ich versuchte mir vorzustellen, der Schuß, den ich abgab, träfe mich selbst. Aber Schmerz kann man sich nicht vorstellen. Und man glaubt natürlich auch nicht, daß es einem selbst zustößt.«
Vom Korridor erklangen Stimmen. Ein Streifenpolizist sprach von einem alkoholisierten Fahrer. Dann wurde es wieder still.
»Wie geht es dir eigentlich?« fragte Wallander.
»Meinst du wegen der Schußverletzung damals?«
Er nickte.
»Ich träume davon«, sagte sie. »Ich träume, daß ich sterbe. Oder daß der Schuß in den Kopf geht. Das ist fast am schlimmsten.«
»Kein Wunder, wenn man Angst bekommt«, sagte Wallander.
Sie stand auf. »An dem Tag, an dem ich wirklich Angst bekomme, höre ich auf«, sagte sie. »Aber ich glaube, ganz so weit bin ich noch nicht. Danke, daß du hereingeschaut hast. Ich bin daran gewöhnt, meine Probleme allein zu lösen. Aber heute abend fühlte ich mich hilflos.«
»Es zeugt schon von Stärke, wenn man wagt, sich das einzugestehen.«
Sie zog ihre Jacke an. Lächelte ihr blasses Lächeln. Wallander fragte sich, ob sie ordentlich schlief. Aber er sagte nichts.
»Können wir morgen über die Autoschmuggler reden?« fragte sie.
»Am besten am Nachmittag. Vergiß nicht, am Vormittag müssen wir uns mit diesen verschwundenen Jugendlichen beschäftigen.«
|60| Sie sah ihn forschend an. »Du scheinst dir Sorgen zu machen?«
»Eva Hillström macht sich Sorgen. Das kann ich nicht ignorieren.«
Sie gingen gemeinsam hinaus. Er konnte ihr Auto nicht auf dem Parkplatz sehen. Doch als er sie fragte, ob er sie nach Hause fahren solle, lehnte sie ab.
»Ich brauche frische Luft. Außerdem ist es ja warm. Was für ein August!«
»Die Hundstage«, sagte er. »Was immer das heißt.«
Sie verabschiedeten sich. Wallander setzte sich in seinen Wagen und fuhr nach Hause. Er trank eine Tasse Tee und blätterte
Ystads Allehanda
durch. Dann ging er ins Bett. Er ließ das Fenster einen Spalt offen, denn es war heiß im Zimmer.
Bald war er eingeschlafen.
Er erwachte mit einem Ruck. Ein heftiger Schmerz hatte ihn geweckt.
Der linke Wadenmuskel hatte sich verkrampft. Er setzte den Fuß auf den Boden und stemmte sich dagegen. Der Schmerz ließ nach. Er legte sich vorsichtig wieder hin, damit der Krampf nur ja nicht wiederkäme. Der Wecker zeigte halb zwei.
Er hatte wieder von seinem Vater geträumt. Unzusammenhängend, sprunghaft. Sie waren in den Straßen einer Stadt umhergelaufen, die Wallander nicht kannte. Sie hatten nach jemandem gesucht. Nach wem, wurde im Traum nicht klar.
Die Gardine vor dem Fenster bewegte sich leicht. Er dachte an Lindas Mutter, Mona, mit der er so lange verheiratet gewesen war. Und die jetzt ein ganz anderes Leben lebte, mit einem neuen Mann, der Golf spielte und sicher keinen überhöhten Blutzuckerspiegel hatte.
Seine Gedanken wanderten. Plötzlich sah er sich selbst mit Baiba am endlosen Strand von Skagen spazierengehen.
Auf einmal war er hellwach.
Er setzte sich im Bett auf. Woher der Gedanke kam, wußte er nicht. Er war plötzlich da, hatte sich unter all den übrigen Gedanken in den Vordergrund gedrängt. Svedberg.
Es war nicht normal, daß er sich nicht meldete, wenn er krank |61| war. Außerdem war er nie krank. Wenn etwas passiert wäre, hätte er Bescheid gegeben. Wenn Svedberg nichts von sich hören ließ, konnte das eigentlich nur eins bedeuten.
Daß er sich in einer Situation befand, die es ihm unmöglich machte, sich zu melden.
Wallander spürte Angst. Natürlich war das alles Einbildung. Was konnte Svedberg schon zugestoßen sein?
Aber das Angstgefühl war stark. Wallander sah wieder zur Uhr. Dann ging er in die Küche und wählte Svedbergs Nummer. Nach ein paar Signalen schaltete sich der Anrufbeantworter mit Svedbergs Stimme ein. Wallander legte auf. Jetzt war er sicher, daß etwas passiert war. Er zog sich an und ging hinunter zu seinem Wagen. Wind war aufgekommen, aber es war noch immer warm. Er brauchte nur ein paar Minuten bis zum Stortorg. Er parkte und ging zur Lilla Norregata, wo Svedberg wohnte. In seinem Fenster brannte Licht. Wallander spürte Erleichterung, aber nur für ein paar Sekunden. Danach kehrte die Angst um so stärker zurück. Warum ging Svedberg nicht ans Telefon,
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