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Wallander 07 - Mittsommermord

Wallander 07 - Mittsommermord

Titel: Wallander 07 - Mittsommermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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nicht. Warum bist du selbst hier? Ist was passiert?«
    Wallander sank auf ihren Besucherstuhl. Er fühlte sich wie ein |57| schweres und unförmiges Tier. »Ach, es sind diese Jugendlichen, die am Mittsommertag verschwunden sind.«
    »Gibt es da was Neues?«
    »Eigentlich nicht. Mir war nur ein Gedanke gekommen, den ich untersuchen wollte. Aber ich glaube, wir müssen uns das alles noch einmal gründlich vornehmen. Frau Hillström ist auf jeden Fall äußerst besorgt.«
    »Aber was sollte eigentlich passiert sein?«
    »Das genau ist die Frage.«
    »Wir sollen also nach ihnen suchen lassen?«
    Wallander hob resigniert die Arme. »Ich weiß nicht. Wir entscheiden morgen darüber.«
    Der Raum lag im Halbdunkel. Das Licht ihrer Schreibtischlampe fiel auf den Fußboden.
    »Wie lange bist du schon Polizist?« fragte sie plötzlich.
    »Lange. Manchmal denke ich, zu lange. Aber ich habe auch eingesehen, daß ich nun einmal Polizist bin. Bis ich in Pension gehe.«
    Sie sah ihn lange an, bevor sie ihre nächste Frage stellte. »Und wie schaffst du das?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Aber du schaffst es?«
    »Nicht immer. Warum fragst du?«
    »Ich bin ein bißchen ausgerastet im Eßraum. Ich habe gesagt, der Sommer sei schlecht gewesen. Das war er auch. Mein Mann und ich haben Probleme. Er ist nie zu Hause. Es kann eine Woche vergehen, ehe wir uns wieder aneinander gewöhnt haben, wenn er von seinen Reisen nach Hause kommt. Und dann muß er schon wieder weg. Diesen Sommer haben wir davon gesprochen, uns scheiden zu lassen. Und so etwas ist nie einfach. Besonders nicht, wenn man Kinder hat.«
    »Ich weiß«, sagte Wallander.
    »Gleichzeitig habe ich angefangen mich zu fragen, was ich eigentlich mache. Ich schlage die Zeitung auf und lese von Kollegen in Malmö, die wegen Hehlerei festgenommen worden sind. Ich schalte den Fernseher ein und erfahre, daß hohe Polizeivorgesetzte in den Bassins der organisierten Kriminalität schwimmen. Oder als Ehrengäste auf der Hochzeit der Schurken in ausländischen |58| Ferienorten paradieren. Ich sehe das alles, und ich merke, daß es mehr und mehr wird. Schließlich beginne ich mich zu fragen, was ich hier eigentlich mache. Genauer gesagt: Ich frage mich, wie ich es schaffen soll, noch dreißig Jahre Polizeibeamtin zu sein.«
    »Es schwankt und es knackt in den Fugen«, sagte Wallander. »Das tut es seit langem. Die Fäulnis des Rechtswesens ist nichts Neues. Korrupte Polizisten hat es immer gegeben. Nur daß es jetzt schlimmer ist denn je. Und deshalb ist es auch wichtiger denn je, daß es solche wie dich gibt, die sich dagegenstellen.«
    »Und du selbst?«
    »Das gilt auch für mich.«
    »Aber wie schaffst du es?«
    Wallander spürte eine gewisse Aggressivität in ihren Fragen. Darin erkannte er sich selbst. Wie oft hatte er dagesessen und seinen Schreibtisch angestarrt, unfähig, einen einzigen mildernden Umstand für seine Arbeit zu finden.
    »Ich versuche mir zu sagen, daß es ohne mich noch schlimmer wäre«, antwortete er. »Das ist in manchen Augenblicken ein Trost. Zwar nur ein kleiner. Aber wenn es keinen anderen gibt, halte ich mich daran fest.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Was ist eigentlich mit diesem Land los?«
    Wallander wartete auf eine Fortsetzung, die jedoch nicht kam. Draußen donnerte ein Lastzug vorüber.
    »Erinnerst du dich noch an den brutalen Überfall im Frühjahr? In Svarte?« fragte Wallander.
    Sie nickte.
    »Zwei Jungen, beide vierzehn, schlagen einen dritten zu Boden. Einen Zwölfjährigen. Ohne Grund. Und als er auf dem Boden liegt, schon bewußtlos, trampeln sie auf seinem Brustkorb herum. Bis er nicht mehr nur bewußtlos ist. Sondern tot. Ich glaube, da habe ich zum erstenmal ganz klar begriffen, daß eine wirklich dramatische Veränderung stattgefunden hat. Geprügelt hat man sich immer. Aber früher hörte man auf, wenn der eine besiegt war und am Boden lag. Man kann es nennen, wie man will. Fair play. Oder warum nicht eine Selbstverständlichkeit. Aber das gibt es nicht mehr. Weil diese Jungen nie gelernt haben, was das ist. Es kommt |59| mir vor, als sei eine ganze Generation von Jugendlichen von ihren Eltern im Stich gelassen worden. Oder als hätten wir es zur Norm erhoben, nicht hinzusehen. Plötzlich muß man als Polizist umdenken. Die Voraussetzungen haben sich völlig verändert. Die Erfahrungen, die man gesammelt hat, sind nichts mehr wert.«
    Er verstummte.
    »Ich weiß nicht, was ich mir vorgestellt habe, als ich zur Polizeihochschule ging«,

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