Wallander 07 - Mittsommermord
Uhr zeigte sechs Minuten nach zwei.
Erst um drei Minuten vor halb drei schien der Mond für einige kurze Augenblicke wieder durch die Wolken. Wallander sah, daß er jetzt auf der Rückseite des Baums war. Ob sich dort ein Mensch befand, konnte er nicht erkennen. Der Abstand war zu groß. Außerdem lag dichtes Buschwerk dazwischen. Doch er versuchte, sich das Gelände einzuprägen. Ein sanft ansteigender Hang, dann Büsche, danach zwanzig bis dreißig Meter freie Fläche bis zum Baum.
Das Mondlicht verschwand. Wallander versuchte, seine Gedanken zu sammeln. Larstam hatte bestimmt alle Sinne angespannt. Er rechnete wohl weder damit, daß Wallander seine Position herausgefunden |580| hatte, noch damit, daß er von hinten kommen würde. Doch Wallander durfte Larstams Wachsamkeit nicht unterschätzen. Von welcher Seite Wallander sich auch näherte, er würde dort sein, und er würde bereit sein.
Dennoch begann Wallander sich langsam vorwärts zu bewegen. Es war unendlich mühsam, ein blindes Tasten in einem großen Dunkel. Der Schweiß lief in Strömen. Er war sicher, daß sein pochendes Herz zu hören wäre. Schließlich hatte er jedoch das Gebüsch erreicht. Er blickte wieder zum Himmel auf. Die Wolkendecke war jetzt sehr dicht. Zum drittenmal hörte Wallander den Vogel. Er spähte vorsichtig durch die Büsche nach vorn. Aber da war nur Dunkelheit. Er mußte warten.
Es dauerte fast zwanzig Minuten, bis es den Anschein hatte, daß der Mond wieder durch die Wolkendecke leuchten würde. Er machte sich bereit, ohne klar zu wissen, was er eigentlich tun wollte, falls Larstam tatsächlich bei dem Baum stand. Er hatte keinen Plan. Und er fürchtete seine eigenen Impulse.
Der Mond brach hervor. Das Licht schnitt durch die Wolken. Und da entdeckte er Larstam. Er stand an den Baumstamm gedrückt und schien völlig davon in Anspruch genommen zu sein, die Straße im Auge zu behalten. Wallander sah seine Hände. Die Pistole mußte in einer Tasche stecken. Er würde vielleicht zwei Sekunden brauchen, um sie herauszureißen und sich umzudrehen. Das war die Zeit, die Wallander zur Verfügung stand. Er versuchte, die Entfernung zum Baum zu schätzen, und ließ den Blick angespannt über das Gelände streichen. Er konnte kein Hindernis entdecken. Keine tückischen Vertiefungen, keine Steine. Er blickte rasch noch einmal zum Himmel auf. Bald würde der Streifen Mondlicht verschwinden. Wenn er eine Möglichkeit haben wollte, zu Larstam zu gelangen, mußte er genau den Moment abpassen, in dem das Licht verschwand und die Wolken sich wieder schlossen. Er faßte die Planke fester.
Es ist Wahnsinn, dachte er. Ich tue etwas, was ich nicht tun sollte. Aber es ist das, was ich tun muß.
Der Mondstreifen wurde allmählich schmaler. Wallander machte sich bereit. Larstam hatte sich nicht gerührt. Als das Licht verschwand, lief Wallander los. Irgendwo in seinem Inneren spürte |581| er die Lust, ein Kampfgeschrei auszustoßen. Das ihm vielleicht noch ein paar Sekunden geben würde. Für den Fall, daß Larstam Angst bekam.
Das Licht schwand langsam dahin. Wallander sprang mit einem Satz auf und lief los. Die Planke hielt er über den Kopf erhoben. Er gelangte fast bis ans Ziel. Larstam hatte sich noch nicht umgewandt. Das Mondlicht war nur noch ganz schwach.
Da stolperte Wallander über einen Stein oder eine Baumwurzel und stürzte hilflos zu Boden. Larstam fuhr herum. Wallander konnte gerade noch eins seiner Beine fassen. Larstam stöhnte auf und riß sich los. Doch bevor er seine Waffe aus der Tasche ziehen konnte, war Wallander wieder über ihm. Der erste Schlag mit der Planke traf nur den Baumstamm. Die Planke zersplitterte. Wallander schleuderte den Rest der Planke gegen Larstams Brust. Und schlug dann mit der Faust zu. Woher er die Kraft nahm, würde er nie sagen können. Es war reines Glück, daß er Larstam mitten auf den Kiefer traf. Es gab ein knirschendes Geräusch, und Larstam fiel, ohne einen Laut. Wallander wälzte sich über ihn, schlug noch einmal zu, und noch einmal, bevor ihm klar wurde, daß der Mann unter ihm bereits bewußtlos war. Dann nahm er ihm die Pistole aus der Tasche, die Pistole, mit der Larstam so viele Menschen getötet hatte.
Er spürte den Impuls, die Pistole an Larstams Schläfe zu setzen und abzudrücken. Doch er widerstand.
Dann schleppte er den bewußtlosen Larstam hinunter zur Straße. Erst als sie Wallanders Wagen erreichten, gab Larstam ein Stöhnen von sich. Wallander holte das Abschleppseil aus
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