Wallander 07 - Mittsommermord
seinen früheren Versuchen hatte er diesmal Glück.
»Bror Sundelius?«
»Der bin ich.«
Es war ein älterer Mann, der ihm antwortete. Seine Stimme klang sehr energisch.
Wallander stellte sich vor. Er wollte gerade anfangen, von Svedberg zu sprechen, als Sundelius ihm zuvorkam.
»Ich habe erwartet, daß die Polizei anrufen würde. Es hat allerdings reichlich lange gedauert, finde ich.«
|176| »Ich habe mehrfach vergeblich versucht, bei Ihnen anzurufen. Warum haben Sie darauf gewartet, daß wir uns bei Ihnen meldeten?«
Sundelius antwortete, ohne zu zögern. »Karl Evert hatte nicht viele Freunde. Einer dieser wenigen war ich. Deshalb habe ich selbstverständlich damit gerechnet, von Ihnen zu hören.«
»Um wonach zu fragen?«
»Das sollten Sie besser wissen als ich.«
Vollkommen richtig, dachte Wallander. Dieser pensionierte Bankdirektor ist alles andere als verkalkt. »Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten«, sagte er. »Entweder hier im Präsidium oder bei Ihnen zu Hause. Am liebsten morgen vormittag.«
»Früher hatte ich meine Arbeit. Jetzt klettere ich die Wände hoch«, sagte Sundelius. »Ich habe unendlich viel Zeit, die ohne jeden Nutzen verrinnt. Nach halb fünf morgen früh paßt es mir ausgezeichnet. Hier in der Vädergränd. Meine Beine wollen nicht mehr so richtig. Wie alt sind Sie, Herr Kommissar?«
»Bald fünfzig.«
»Dann dürften Sie gesündere Beine haben als ich. Außerdem braucht man in Ihrem Alter Bewegung. Sonst steigt das Risiko für Herzkrankheiten. Oder Diabetes.«
Wallander hörte betroffen zu.
»Sind Sie noch da, Kommissar?«
»Ja«, sagte Wallander. »Ich bin noch da. Paßt es Ihnen morgen früh um neun?«
Um halb acht versammelten sie sich im Sitzungszimmer. Lisa Holgersson war kurz vorher gekommen. Sie wurde von dem Staatsanwalt begleitet, der Per Åkesson vertrat. Per Åkesson hatte sich nach langjährigem Zaudern endlich dazu durchgerungen, sich beurlauben zu lassen, und arbeitete jetzt in Uganda für die Internationale Flüchtlingskommission. Seit fast acht Monaten war er fort. Dann und wann schrieb er Wallander und erzählte von seinem Leben und wie die dramatische Milieuveränderung und die neuen Aufgaben ihn beeinflußten.
Er fehlte Wallander oft, obgleich sie nie enge Freunde waren. Zuweilen befiel ihn auch so etwas wie Neid angesichts des Aufbruchs, |177| den Per Åkesson gewagt hatte. Würde er selbst jemals dazu fähig sein, eine andere Arbeit als die eines Kriminalbeamten zu tun? Bald wurde er fünfzig. Seine Zeit schrumpfte. In immer rascherem Tempo.
Der Staatsanwalt hieß Thurnberg und war zuletzt in Örebro tätig gewesen. Wallander hatte noch nicht viel mit ihm zu tun gehabt, da Thurnberg erst Mitte Mai seinen Dienst in Ystad angetreten hatte. Er war ein paar Jahre jünger als Wallander, gut durchtrainiert und von schneller Auffassungsgabe. Wallander war sich noch nicht darüber im klaren, was er von ihm halten sollte. Manchmal wirkte er ausgesprochen arrogant.
Wallander klopfte mit dem Bleistift auf den Tisch und blickte in die Runde. Svedbergs Stuhl blieb weiterhin leer. Wallander fragte sich, wann jemand ihn wieder benutzen würde.
Weil er damit rechnete, daß Björklund jederzeit aus Kopenhagen zurückkommen konnte, berichtete Wallander als erstes von seinem Fund und von seinen Schlußfolgerungen.
»Wir haben uns vor der Sitzung eben schon ein wenig unterhalten«, sagte Martinsson. »Mir ist etwas sehr Eigenartiges aufgefallen. Es existieren keine Tagebücher. Ich habe auch die anderen gefragt, und überall ist es das gleiche. Keiner von diesen Jugendlichen scheint Tagebuch geführt zu haben. Wir finden auch keine Kalender.«
»Und mehr noch«, fügte Hansson hinzu. »Es gibt auch keine Briefe.«
»Ich finde das auch merkwürdig«, sagte Ann-Britt. »Als verwischten diese Jugendlichen ihre Spuren.«
»Gilt das auch für die, mit denen ihr heute gesprochen habt? Die von dem anderen Bild?«
»Ja«, erwiderte Martinsson. »Vielleicht sollte man sie an diesem Punkt ein bißchen stärker unter Druck setzen.«
»Wir müssen noch einmal von vorn anfangen«, meinte Wallander. »Isa Edengren kommt langsam wieder zu sich. In ein, zwei Tagen können wir auch mit ihr sprechen. Bis dahin sollten wir in bezug auf sie nur zwei Dinge bedenken. Sie hat einen ernsthaften Selbstmordversuch unternommen. Und ihr Bruder Jörgen hat sich vor etwa einem Jahr das Leben genommen und einen Abschiedsbrief |178| hinterlassen, in dem er seine Eltern in
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