Wallander 08 - Die Brandmauer
wissen, wenn sie nichts gesagt hat?«
»Das verrat ich nicht.«
Wallander überlegte sorgfältig, bevor er fortfuhr. Wenn er zu schnell vorging, konnte es sein, daß der Junge sich ganz verschloß.
»Du hast eben gefragt, warum wir den, der deine Schwester getötet hat, nicht verhaftet haben. Wenn wir das schaffen sollen, brauchen wir Hilfe. Das Beste, was du jetzt tun kannst, ist, mir zu erzählen, woher du wußtest, daß jemand sie geschlagen hat.«
»Sie hat eine Zeichnung gemacht.«
»Konnte sie zeichnen?«
»Sie war gut im Zeichnen. Aber sie hat es nie jemandem gezeigt. Sie zeichnete und riß es kaputt. Aber ich bin manchmal hier reingekommen, wenn sie nicht zu Hause war.«
»Und da hast du etwas gesehen?«
»Sie hatte das gezeichnet, was da passiert war.«
»Hat sie das gesagt?«
»Warum hätte sie sonst einen Mann gezeichnet, der sie ins Gesicht schlägt?«
»Du hast die Zeichnung nicht zufällig aufgehoben?«
Der Junge verschwand wortlos. Nach einigen Minuten kam er zurück. In der Hand hielt er eine Bleistiftzeichnung.
»Aber ich will sie wiederhaben.«
»Ich verspreche dir, daß du sie zurückbekommst.«
Wallander nahm die Zeichnung mit ans Fenster. Das Bild berührte ihn sogleich unangenehm. Sonja Hökberg war tatsächlich eine gute Zeichnerin gewesen. Er erkannte ihr Gesicht. Ein Mann, der sich vor ihr auftürmte, beherrschte das Bild. Eine Faust traf Sonjas Nase. Wallander betrachtete das Gesicht des Mannes. Wenn es so gut wiedergegeben war wie ihr eigenes, sollte es möglich sein, den Mann zu identifizieren. Etwas am rechten Handgelenk des Mannes erweckte Wallanders Aufmerksamkeit. Zuerst glaubte er, es sei eine Art Armband. Dann erkannte er, daß es eine Tätowierung war.
Wallander hatte es plötzlich eilig. »Es war richtig von dir, die Zeichnung aufzuheben«, sagte er zu dem Jungen. »Und ich verspreche dir, daß du sie zurückbekommst.«
|419| Der Junge begleitete ihn die Treppe hinunter. Wallander hatte die Zeichnung vorsichtig zusammengerollt und in seine Jackentasche gesteckt. Aus dem Wohnzimmer war immer noch Schluchzen zu hören.
»Hört sie jetzt nie mehr auf?« fragte der Junge.
Wallander spürte einen Kloß im Hals. »Doch«, sagte er. »Es geht vorüber. Irgendwann. Aber es braucht seine Zeit.«
Wallander ging nicht mehr zu Hökberg und seiner Frau hinein, um sich zu verabschieden. Er strich dem Jungen rasch übers Haar und schloß behutsam die Haustür hinter sich. Der Wind hatte an Stärke zugenommen. Es hatte auch angefangen zu regnen. Er fuhr auf direktem Weg ins Präsidium und suchte nach Ann-Britt. Ihr Zimmer war leer. Wallander versuchte, sie über ihr Handy zu erreichen, doch sie antwortete nicht. Von Irene erfuhr er schließlich, daß sie plötzlich nach Hause gemußt hatte. Eins der Kinder war krank geworden. Wallander zögerte nicht lange. Er setzte sich ins Auto und fuhr in die Rotfruktsgata hinaus, wo sie wohnte. Der Regen war stärker geworden. Er hielt die Hände über die Jackentasche, um die Zeichnung gegen die Nässe zu schützen. Ann-Britt öffnete die Tür, ein Kind auf dem Arm.
»Ich würde dich nicht stören, wenn es nicht wichtig wäre«, sagte er.
»Das macht nichts. Sie hat nur ein bißchen Fieber. Und meine hilfreiche Nachbarin kann sich erst in ein paar Stunden um sie kümmern.«
Wallander trat ein. Es war lange her, seit er sie zuletzt besucht hatte. Als er ins Wohnzimmer kam, bemerkte er, daß die japanischen Holzmasken von einer Wand verschwunden waren.
Sie folgte seinem Blick. »Er hat seine Reiseandenken mitgenommen.«
»Wohnt er noch hier in Ystad?«
»Er ist nach Malmö gezogen.«
»Willst du in dieser Wohnung bleiben?«
»Ich weiß nicht, ob ich es mir leisten kann.«
Das Mädchen auf ihrem Arm war fast eingeschlafen. Ann-Britt legte sie behutsam aufs Sofa.
»Ich werde dir gleich eine Zeichnung zeigen«, sagte Wallander. |420| »Aber zuerst habe ich eine Frage zu Carl-Einar Lundberg. Du hast ihn nicht getroffen. Aber du hast Fotos von ihm gesehen. Und alte Protokolle durchgelesen. Kannst du dich erinnern, ob irgendwo etwas von einer Tätowierung am rechten Handgelenk stand?«
Sie brauchte nicht nachzudenken. »Er hatte eine Schlange aufs Handgelenk tätowiert.«
Wallander schlug mit der Hand auf den Couchtisch. Das Kind erschrak und fing an zu weinen, beruhigte sich aber wieder und schlief weiter. Endlich waren sie auf etwas gestoßen, das sich als haltbar erwies. Er legte die Zeichnung vor ihr auf den Tisch.
»Das ist
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