Wallander 08 - Die Brandmauer
Es gab trotz allem eine Grenze.
»Was ist deine Meinung?«
»Ich war nicht da. Ich weiß nicht, wie es aussah oder was eigentlich passiert ist. Aber es muß schon einiges zusammenkommen, damit ein solcher Mensch sich das Leben nimmt.«
»Warum glaubst du das?«
»Ein bißchen Erfahrung habe ich im Lauf der Jahre wohl doch gesammelt.«
Wallander konnte es sich nicht verkneifen, schulmeisterlich zu reagieren. »Es fragt sich nur, ob diese Erfahrung im vorliegenden Fall so viel wert ist. Dieser Mann hat vermutlich mindestens zwei Menschen getötet. Und er hätte nicht gezögert, noch einen zu töten. Was dahintersteckt, wissen wir nicht. Aber er muß ein ziemlich rücksichtsloser Mensch gewesen sein. Und dazu ungewöhnlich kaltblütig. Eine asiatische Kaltblütigkeit vielleicht, was immer damit gemeint sein mag. Möglicherweise hat er den Hubschrauber |519| gehört und eingesehen, daß er nicht entkommen konnte. Wir gehen davon aus, daß die Menschen, die hinter dieser Sache stecken, Fanatiker sind. Vielleicht hat er am Ende diese Besessenheit gegen sich selbst gerichtet.«
Ann-Britt wollte etwas sagen. Aber Wallander war schon auf dem Weg aus der Tür.
»Ich muß Modin holen«, sagte er. »Danach können wir reden.«
Wallander verließ das Präsidium. Es war Viertel vor neun. Er hatte es eilig. Der Wind war böig. Es hatte aufgehört zu regnen. Die Wolkendecke schien schnell aufzureißen. Er fuhr nach Malmö. Jetzt, am Sonntag, war die Landstraße verlassen. Er fuhr viel zu schnell. Irgendwo zwischen Rydsgård und Skurup überfuhr er einen Hasen. Er versuchte auszuweichen, doch der Hase landete unter einem der Hinterräder. Im Rückspiegel sah er, wie die Hinterläufe zuckten, als der Hase auf der Fahrbahn lag. Aber er bremste nicht.
Erst vor dem Haus in Jägersro hielt er an. Es war zwanzig Minuten vor zehn. Elvira Lindfeldt öffnete sofort. Robert Modin saß am Küchentisch und trank Tee. Sie war angekleidet. Doch Wallander hatte den Eindruck, daß sie müde war. Sie wirkte irgendwie verändert, seit er sie zuletzt gesehen hatte. Aber ihr Lächeln war noch das gleiche. Sie wollte ihn zu einer Tasse Kaffee einladen. Wallander hätte liebend gerne angenommen. Aber er lehnte ab. Die Zeit war knapp. Sie insistierte, nahm seinen Arm und nötigte ihn nahezu in die Küche. Wallander merkte, daß sie einen verstohlenen Blick auf ihre Uhr warf. Sofort wurde er mißtrauisch. Sie will, daß ich bleibe, dachte er. Aber nicht zu lange. Danach wartet etwas anderes. Oder jemand anders. Er lehnte dankend ab und sagte zu Modin, er solle sich fertigmachen.
»Menschen, die es eilig haben, machen mir angst«, klagte sie, als Modin die Küche verlassen hatte.
»Dann haben Sie jetzt den ersten Fehler an mir gefunden«, sagte Wallander. »Aber heute kann ich es wirklich nicht ändern. Wir brauchen Modin in Ystad.«
»Warum ist denn alles so eilig?«
»Ich habe nicht die Zeit, das zu erklären. Ich kann nur sagen, |520| daß wir uns Sorgen machen wegen des 20. Oktober. Und der ist morgen.«
Obwohl Wallander müde war, nahm er einen schwachen Anflug von Beunruhigung wahr, der über ihr Gesicht huschte. Dann lächelte sie wieder. Wallander fragte sich, ob es Angst war. Doch er verwarf den Gedanken als Einbildung.
Modin kam die Treppe herunter. Er war bereit. Seine kleinen Computer trug er je unter einem Arm.
»Kommt mein Übernachtungsgast heute abend zurück?« fragte sie.
»Das ist nicht mehr nötig.«
»Kommen
Sie
zurück?«
»Ich rufe an«, sagte Wallander. »Im Augenblick kann ich es nicht sagen.«
Sie fuhren nach Ystad. Wallander fuhr jetzt langsamer. Aber nicht viel.
»Ich bin früh aufgewacht«, sagte Modin. »Ich habe versucht nachzudenken. Ich habe ein paar neue Ideen, die ich gern ausprobieren würde.«
Wallander fragte sich, ob er von den Ereignissen der Nacht erzählen sollte. Aber er entschied sich dafür, abzuwarten. Im Moment war das wichtigste, daß Modin seine Konzentration behielt. Schweigend fuhren sie weiter. Wallander sagte sich, daß es sinnlos wäre, wenn Modin Energie darauf verschwendete, ihm zu erklären, worauf seine neuen Ideen hinausliefen.
Sie passierten die Stelle, an der Wallander den Hasen überfahren hatte. Ein Schwarm Krähen stob auseinander, als der Wagen sich näherte. Der Hase war schon bis zur Unkenntlichkeit zerhackt.
Wallander erzählte, daß er es gewesen war, der den Hasen auf der Herfahrt überfahren hatte.
»Man sieht Hunderte überfahrener Hasen. Aber erst, wenn man
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