Wallander 08 - Die Brandmauer
wir uns in einer halben Stunde treffen«, sagte er. »Ich möchte, daß jeder bis dahin alles noch einmal durchdenkt. Dreißig Minuten sind nicht viel. Aber damit müßt ihr auskommen. Dann müssen wir noch einmal von vorn anfangen und eine neue Einschätzung der Lage vornehmen.«
Sie verschwanden in ihre Zimmer. Als Wallander in sein Zimmer gekommen war, rief die Anmeldung an und sagte ihm, er habe Besuch.
|528| »Wer ist es, und worum geht es?« fragte Wallander. »Ich habe keine Zeit.«
»Sie sagt, sie wäre deine Nachbarin in der Mariagata. Eine Frau Hartman.«
Wallander befiel sofort die Angst, es könnte etwas passiert sein. Vor ein paar Jahren hatte es in seiner Wohnung einen Wasserschaden gegeben. Frau Hartman, die Witwe war, wohnte in der Wohnung unter Wallander. Damals hatte sie im Präsidium angerufen und Alarm geschlagen.
»Ich komme«, sagte Wallander und legte auf.
Als er in die Anmeldung kam, konnte Frau Hartman ihn beruhigen. Es gab keinen Wasserschaden. Aber sie reichte ihm einen Brief.
»Die Briefträgerin muß sich vertan haben«, sagte sie bedauernd. »Wahrscheinlich ist der Brief schon Freitag bei mir eingeworfen worden. Aber ich war verreist und bin erst heute früh zurückgekommen. Ich dachte, es könnte vielleicht wichtig sein.«
»Sie hätten sich aber nicht die Mühe machen müssen«, sagte Wallander. »Ich bekomme selten so wichtige Post, daß sie nicht warten kann.«
Der Brief hatte keinen Absender. Frau Hartman ging, und Wallander kehrte in sein Büro zurück. Er öffnete den Brief und sah zu seinem Erstaunen, daß er von Datakontakt war. Sie bedankten sich für seine Anmeldung und versprachen, eventuelle Zuschriften sofort an ihn weiterzuleiten.
Wallander knüllte den Brief zusammen und warf ihn in den Papierkorb. In den folgenden Sekunden war sein Kopf vollkommen leer. Dann runzelte er die Stirn und nahm den Brief wieder aus dem Papierkorb. Er glättete ihn und las ihn noch einmal. Dann suchte er den Umschlag heraus. Er wußte nicht genau, warum. Lange betrachtete er den Poststempel. Der Brief war am Donnerstag abgeschickt worden.
Sein Kopf war noch immer völlig leer.
Die Angst kam aus dem Nichts. Der Brief war am Donnerstag abgestempelt worden. Er wurde darin als Kunde von Datakontakt willkommen geheißen. Aber da hatte er schon eine Antwort von Elvira Lindfeldt erhalten. Und zwar in einem Umschlag, der |529| direkt bei ihm eingeworfen worden war. Ein Brief ohne Poststempel.
Die Gedanken rasten durch sein Gehirn.
Dann drehte er sich um und sah seinen Computer an. Er saß vollkommen starr. Seine Gedanken wirbelten im Kreis. Zuerst schnell, dann immer langsamer. Er glaubte, er sei im Begriff, den Verstand zu verlieren. Dann zwang er sich, vollkommen ruhig und klar zu denken.
Dabei starrte er weiter seinen Computer an. In seinem Kopf begann ein Bild Kontur anzunehmen. Ein Zusammenhang. Und der war entsetzlich.
Er stürzte hinaus in den Flur und lief zu Hanssons Zimmer.
»Ruf den Streifenwagen an«, stieß er hervor, als er durch die Tür kam.
Hansson fuhr zusammen und sah ihn erschrocken an. »Welchen Streifenwagen?«
»Der Modin nach Malmö gebracht hat.«
»Warum denn?«
»Tu nur, was ich sage. Schnell.«
Hansson griff zum Telefon. Nach weniger als zwei Minuten hatte er sie erreicht.
»Sie sind auf dem Rückweg«, sagte er und legte den Hörer auf die Gabel.
Wallander atmete auf.
»Aber Modin ist in Malmö geblieben.«
»Warum das?«
»Er ist anscheinend herausgekommen und hat ihnen gesagt, er wolle von da aus weiterarbeiten.«
Wallander stand wie angewurzelt. Sein Herz hämmerte. Es fiel ihm immer noch schwer zu glauben, daß es wahr sein konnte. Aber er war zuvor schon auf den Gedanken gekommen, daß die Gefahr bestand. Daß die Computer der Polizei angezapft wurden.
Es ging nicht nur um Ermittlungsmaterial. Es konnte sich auch um einen Brief handeln, der an eine Kontaktvermittlung geschrieben worden war.
»Nimm deine Waffe mit«, sagte er. »Wir fahren in einer Minute.«
|530| »Wohin?«
»Nach Malmö.«
Unterwegs versuchte Wallander, eine Erklärung zu formulieren. Hansson hatte aus einleuchtenden Gründen Schwierigkeiten, das Ganze nachzuvollziehen. Wallander bat ihn immer wieder, Elvira Lindfeldts Telefonnummer anzurufen. Es meldete sich niemand. Wallander hatte die Sirene aufs Wagendach gestellt. Schweigend betete er zu allen Göttern, deren Namen ihm einfielen, um Hilfestellung, daß Modin nichts zugestoßen war. Aber er fürchtete das
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