Wallander 08 - Die Brandmauer
des tätlichen Übergriffs auf Eva Persson.«
Wallander war im Nu hellwach. Er setzte sich im Bett auf. Der Mann am Telefon sagte seinen Namen und für welche Zeitung er arbeitete. Wallander dachte, daß er sofort darauf hätte kommen müssen. Daß es nur ein Journalist sein konnte, der ihn am frühen Morgen anrief. Er hätte nicht abnehmen dürfen. Wenn einer seiner Kollegen ihn in einer dringenden Angelegenheit erreichen wollte, würde er es über sein Handy versuchen. Die Nummer hatte er bisher vor Außenstehenden geheimhalten können.
Aber jetzt war es zu spät. Er mußte antworten. »Ich habe schon klargestellt, daß es kein Übergriff war.«
»Sie meinen also, ein Bild könne lügen?«
»Es sagt nicht die ganze Wahrheit.«
»Können Sie die nicht erzählen?«
»Nicht, solange eine Untersuchung läuft.«
»Irgend etwas müssen Sie doch sagen können!«
»Das habe ich bereits getan. Es war kein Übergriff.«
|159| Damit legte er den Hörer auf und zog schnell den Stecker aus der Wand. Er sah schon die Überschrift vor sich: »Unser Reporter abgeblitzt. Polizist schweigt hartnäckig.« Er sank in die Kissen zurück. Die Straßenlampe vor dem Fenster schwankte im Wind. Das Licht, das durch die Gardine fiel, wanderte die Wand entlang.
Er hatte geträumt, als das Telefon klingelte. Die Bilder kehrten langsam in sein Bewußtsein zurück.
Es war im letzten Jahr gewesen, als er eine Reise in die Schären von Östergötland unternommen hatte. Er war eingeladen worden, einen Mann zu besuchen, der auf einer der Schären lebte und dort die Post beförderte. Sie waren sich während einer der schlimmsten Ermittlungen begegnet, mit denen Wallander je befaßt gewesen war. Nur zögernd hatte er die Einladung angenommen. Eines frühen Morgens war er auf einer der äußersten Schären, wo die Klippen wie versteinerte Urzeittiere aus dem Meer ragen, an Land gesetzt worden. Er war auf der kargen Schäre umhergewandert und hatte ein eigenartiges Empfinden von Klarsicht und Überblick erlebt. In Gedanken war er oft zu dieser einsamen Stunde zurückgekehrt, als das Boot draußen in der Bucht lag und wartete. Mehrfach hatte er seitdem das starke Bedürfnis gehabt, das Erlebnis von damals zu wiederholen.
Der Traum versucht mir etwas zu erzählen, dachte er. Ich weiß nur nicht, was.
Bis Viertel vor sechs blieb er im Bett liegen. Dann schloß er das Telefon wieder an. Das Thermometer vor dem Fenster zeigte drei Grad plus. Der Wind war böig. Während er seinen Kaffee trank, ging er alle Ereignisse in Gedanken noch einmal durch. Zwischen dem Überfall auf den Taxifahrer, Sonja Hökbergs Tod und dem Mann, dessen Wohnung er in der Nacht besucht hatte, war ein Zusammenhang aufgetaucht. Er ließ alles noch einmal Revue passieren. Was sehe ich nicht? dachte er. Es gibt eine Tiefenschicht, die ich nicht erkennen kann. Welche Fragen muß ich eigentlich stellen?
Um sieben gab er auf. Er war nicht weiter gekommen, als daß er das Wichtigste von allem eingekreist hatte: Eva Persson mußte |160| dazu gebracht werden, die Wahrheit zu sagen. Warum hatten Sonja Hökberg und sie im Restaurant die Plätze getauscht? Wer war der Mann, der hereingekommen war? Warum hatten sie den Taxifahrer getötet? Wie hatte Eva Persson wissen können, daß ihre Freundin tot war? Mit diesen vier Fragen mußte er anfangen.
Er ging zum Präsidium hinauf. Es war kälter, als er angenommen hatte. Noch hatte er sich nicht an den Herbst gewöhnt. Er bereute, keinen wärmeren Pullover angezogen zu haben. Während er ging, merkte er, daß sein rechter Fuß naß wurde. Er blieb stehen und schaute unter den Schuh. Die Sohle hatte ein Loch. Die Entdeckung machte ihn rasend. Er mußte sich zusammenreißen, um sich nicht die Schuhe von den Füßen zu zerren und barfuß weiterzugehen.
Das also bleibt mir, dachte er. Nach all den Jahren Polizeiarbeit. Ein Paar kaputte Schuhe.
Ein Mann, der an ihm vorbeiging, schaute ihn verwundert an. Wallander hatte laut mit sich selbst geredet.
In der Anmeldung blieb er bei Irene stehen und fragte, wer schon gekommen sei. Martinsson und Hansson waren da. Wallander bat sie, beide in sein Zimmer zu schicken. Dann entschied er sich doch für eins der Besprechungszimmer. Und bat Irene gleichzeitig, Ann-Britt ebenfalls dahin zu schicken, wenn sie kam.
Martinsson und Hansson betraten gleichzeitig das Zimmer.
»Wie ist der Vortrag gelaufen?« fragte Hansson.
»Ach, scheiß drauf«, antwortete Wallander unwirsch und bereute
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