Wallander 09 - Der Feind im Schatten
als Hans seine jetzige Stelle angetreten hatte, waren die Eltern mit der Bitte zu ihm gekommen, für sie als privater Bankier zu agieren. Es ging um eine Summe von knapp zwei Millionen Kronen, die inzwischen auf gut zweieinhalb Millionen angewachsen war. Sie erklärten, es sei ihr Erspartes, dazu noch ein Erbe von einer Verwandten Louises. Wie viel von dem Geld geerbt und wie viel gespart war, wusste Hans nicht. Die Verwandte hieß Hanna Edling und war 1976 verstorben. Sie hatte eine Reihe von Modegeschäften in Westschweden besessen. Steuerliche Unregelmäßigkeiten lagen nicht vor, auch wenn vor allem Håkan jedes Jahr seinem Ärger über die Vermögenssteuer der Sozialdemokraten Luft machte, die er Enteignung nannte. Jetzt war diese Steuer abgeschafft, und es erfüllte Hans mit Trauer, dass er nicht mehr die Möglichkeit gehabt hatte, mit Håkan darüber zu sprechen.
»Hans hat gesagt, seine Eltern hätten eine ganz spezielle Einstellung gehabt, was Geld betraf«, hatte Linda erklärt. »Über Geld redet man nicht, man hat es.«
»Wenn es so einfach wäre«, hatte Wallander erwidert. »Es hört sich nach solider Oberklasse an.«
»Sie sind Oberklasse«, sagte Linda. »Das weißt du doch, darüber brauchen wir keine Worte zu verlieren.«
Zweimal im Jahr hatte Hans ihnen Gewinne und eventuelle Verluste präsentiert. Gelegentlich las Håkan in der Zeitung von attraktiven Investitionsvorschlägen und rief ihn an. Aber er kontrollierte nie, ob Hans seine Anregung befolgte oder nicht. Louise kümmerte sich noch weniger um das angelegte Geld. Doch im Jahr zuvor hatte sie sich zweihunderttausend Kronen von dem investierten Kapital auszahlen lassen. Hans war verwundert gewesen, weil es sehr ungewöhnlich war, dass sie eine so hohe Summe benötigte. Außerdem war es in der Regel Håkan, der Geld abhob, wenn sie beispielsweise eine Kreuzfahrt machen oder sich ein paar Wochen an der französischen Riviera aufhalten wollten. Auf seine Frage, wozu sie das Geld brauche, hatte sie nicht geantwortet, nur erwidert, er solle tun, was sie sage.
»Außerdem wollte sie nicht, dass er es Håkan gegenüber erwähnte«, fügte Linda hinzu. »Das ist vielleicht das Bemerkenswerteste. Früher oder später würde er es ja doch erfahren.«
»Es braucht sich ja nicht um Geheimnistuerei zu handeln«, sagte Wallander zögernd. »Vielleicht wollte sie ihn überraschen?«
»Vielleicht. Aber Hans hat auch gesagt, es sei das einzige Mal gewesen, dass ihre Stimme ihm gegenüber einen drohenden Ton angenommen habe.«
»Hat er genau das Wort benutzt? Drohend?«
»Ja.«
»Ist das nicht ziemlich eigenartig? Ein so starkes Wort?«
»Ich glaube, dass er das Wort bewusst gewählt hat.«
Wallander notierte das Wort drohend auf seinem Papier. Wenn es stimmte, ließ es auf eine neue Seite der ständig lächelnden Frau schließen.
»Was hat Hans über Ostdeutschland gesagt?«
Linda hatte, wie sie betonte, auf verschiedene Weise versucht, ihn dazu zu bringen, Erinnerungsbilder wachzurufen. Aber es gab einfach keine. Er hatte nur die vage Erinnerung, dass seine Mutter ihm in seiner frühen Kindheit einmal aus Ostberlin Holzspielzeug mitgebracht hatte. Doch das war alles. Er wusste weder, wie lange sie fort gewesen war, noch warum sie die Reise gemacht hatte. Sie hatten damals eine Haushilfe gehabt, Katarina, mit der er oft mehr zusammen war als mit seinen Eltern. Håkan war auf See gewesen, und Louise hatte an der Französischen Schule und an einem Stockholmer Gymnasium, an welchem, wusste er nicht mehr, Deutsch unterrichtet. Vielleicht hatten sie manchmal Gäste gehabt, die Deutsch gesprochen hatten. Er erinnerte sich jedenfalls nur undeutlich an die Männer in Uniform, die beim Abendessen in fremden Sprachen Trinklieder gesungen hatten.
»Ich bin mir sicher«, sagte Linda am Schluss. »Er weiß wirklich nicht mehr. Was entweder bedeutet, dass es nicht mehr gab, woran er sich erinnern könnte, oder dass Louise ihre ostdeutschen Abenteuer bewusst vor ihm geheim gehalten hat. Aber warum hätte sie das tun sollen?«
»Nein«, sagte Wallander. »Es war für Schweden nie illegal, nach Ostdeutschland zu reisen. Wir haben mit denen Geschäfte gemacht wie mit allen anderen. Dagegen war es für ostdeutsche Bürger wesentlich schwerer, Schweden zu besuchen. Die Mauer in Berlin wurde gebaut, um die Menschen an der Flucht zu hindern.«
»Das war vor meiner Zeit. Ich erinnere mich daran, wie die Mauer abgerissen wurde, nicht, wie sie gebaut wurde.«
Da
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