Wallander 09 - Der Feind im Schatten
renovierungsbedürftiges Haus gekauft, an der Grenze zwischen Härjedalen und Jämtland. Kilometerweit kein Nachbar, nur Bäume, so weit man sieht.«
»Aber du bist doch hier aus Schonen. In Hässleholm geboren, wenn ich mich recht erinnere. Was willst du da oben in den Wäldern?«
»Meine Ruhe. Außerdem soll es zwischen den Bäumen weniger windig sein.«
»Das hältst du doch nicht aus. Du bist die Weite gewohnt, das Freie.«
»Es ist ein alter Traum«, sagte Nyberg einfach. »Wälder. Als ich hinaufgefahren bin, um das Haus zu kaufen, habe ich mich sofort zu Hause gefühlt. So ist es einfach. Wie lange willst du noch weitermachen?«
Wallander zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht. Es fällt mir schwer, mir ein Leben ohne dieses Büro hier vorzustellen.«
»Mir überhaupt nicht«, sagte Nyberg heiter. »Ich werde mich zum Jäger ausbilden und meine Memoiren schreiben.«
Wallander staunte nur. »Du willst ein Buch schreiben?«
»Warum denn nicht? Ich habe viel zu erzählen. Außerdem ist das Interesse für meinen Beruf heute größer denn je.«
Wallander sah, dass es Nyberg ernst war. Wahrscheinlich war er hartnäckig genug, nicht nur ein Buch zu schreiben, sondern es auch bei einem Verlag unterzubringen.
»Schreibst du auch über mich?«
»Du bleibst verschont«, sagte Nyberg verschmitzt. »Aber andere kommen nicht so gut weg. Ich werde viel über die Unsitte schreiben, Vorgesetzte zu berufen, die nicht die geringste Ahnung von regulärer Polizeiarbeit haben. Vergiss nicht, nachher das Licht auszumachen, wenn du fertig bist.«
Nyberg wandte sich zum Gehen.
Wallander hielt ihn zurück, er konnte nicht anders. »Du kratzt dich immer am Kopf, wenn du nachdenkst«, sagte er. »Was tue ich?«
Nyberg zeigte auf Wallanders Nase. »Du reibst dir die Nasenflügel«, sagte er. »Manchmal reibst du, bis sie rot sind.«
Er nickte und verschwand durch die Tür. Wallander dachte, dass er ihn vermissen würde. Außerdem sollte er sich, sehr bald und sehr ernsthaft, über seine eigene Situation Gedanken machen. Wie lange würde er denn seinen Beruf noch ausüben können? Und was würde er dann tun? Bestimmt nicht in den Wald ziehen, der Gedanke ließ ihn schaudern. Und Memoiren würde er auch nicht schreiben. Dazu fehlten ihm die Geduld und die sprachlichen Fähigkeiten.
Er ließ seine Fragen unbeantwortet, öffnete einen Spalt weit das Fenster und wandte sich wieder dem Computer und Håkan von Enkes Leben zu. Er mobilisierte seine ganze Fantasie, um auf der Suche nach Informationen ungewohnte Wege zu beschreiten, er las über Ostdeutschland und seine Flottenmanöver in der südlichen Ostsee, die Sten Nordlander und Håkan von Enke erwähnt hatten. Die größte Aufmerksamkeit widmete er den U-Boot-Vorfällen in den frühen achtziger Jahren. Hin und wieder notierte er sich einen Namen, ein Ereignis, einen Gedanken. Aber er fand keineSchramme im Bild Håkan von Enkes. Auch bei einem Ausflug in die Französische Schule entdeckte er nichts Auffälliges über Louise. Es gab einfach nichts. Linda hatte sich wahre Prachtexemplare von ehrbaren Menschen als Schwiegereltern ausgesucht. Zumindest an der Oberfläche.
Es war fast halb zwölf geworden, als er anfing zu gähnen. Das Surfen hatte ihn weitab vom Zentrum dessen geführt, was von Interesse sein konnte. Aber plötzlich merkte er auf und beugte sich zum Bildschirm vor. Es war ein Artikel aus einer Abendzeitung vom Beginn des Jahres 1987. Ein Journalist hatte Material über ein privates Stockholmer Festlokal ausgegraben, das oft von hohen Marineoffizieren besucht wurde. Die Feste waren dem Anschein nach von viel Geheimniskrämerei umgeben, nur wenige Erwählte waren zugelassen, und keiner der Offiziere, an die der Journalist herangetreten war, hatte sich äußern wollen. Das hatte hingegen eine Kellnerin getan, eine Fanny Klarström. Sie hatte von den unschönen, von Hass auf Palme erfüllten Reden erzählt, die dort geschwungen wurden, von den arroganten Offizieren. Sie hatte ihre Arbeit aufgegeben, weil sie es nicht länger aushielt. Unter den Offizieren, die diese Zusammenkünfte regelmäßig besuchten, war auch Håkan von Enke.
Wallander druckte die beiden Zeitungsseiten mit einem Foto von Fanny Klarström aus. Wallander schätzte, dass sie damals um die fünfzig Jahre alt gewesen war. Sie konnte also durchaus noch leben. Er notierte sich auch den Namen des Journalisten und dachte, dass es das zweite Festlokal war, auf das er im Zusammenhang mit Håkan
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