Wallander 09 - Der Feind im Schatten
die mit der Überwachungsapparatur und den Antennen ausgerüstet waren, die wir von Beobachtungsschiffen der russischen Marine her kannten. Sie hatten garantiert keinen Fisch im Laderaum. Aber dass dort russische Techniker saßen und unseren Funkverkehr abhörten, daran bestand ebenfalls kein Zweifel. Ich sollte vielleicht hinzufügen, dass wir uns in internationalen Gewässern befanden. Sie durften sich dort aufhalten, wo sie waren.«
»Sie erwarteten also ein U-Boot und ein ungewöhnliches Tankschiff?«
»Aber das wusste Mattsson natürlich nicht. Was machen die da? fragte er. Weit weg von unserem Manövergebiet? Ich weiß noch, was ich ihm antwortete. Es sind vielleicht richtige Fischerboote . Aber er fand das nicht lustig. Er telefonierte nach unten zum Kapitän, der dann die Brücke betrat. Unser Zerstörer machte keine Fahrt, während wir die Anwesenheit der Fischerboote meldeten. Ein Hubschrauber kam und schwebte eine Zeitlang über ihnen, bevor wir sie in Ruhe ließen und weiterfuhren. Aber da hatte ich die Brücke schon verlassen und war in meine Kabine gegangen.«
»Du hattest erfahren, was du lieber nicht erfahren hättest?«
»Es war ein Erlebnis, das mir Übelkeit bereitete und mir mehr zusetzte, als es die Seekrankheit je hätte tun können. Ich erbrach mich, sobald ich in die Kabine kam. Dann legte ich mich in die Koje und wusste, dass nichts mehr so sein würde, wie es einmal gewesen war. Es gab nur eine Erklärung, nämlich die, dass mein fingiertes Papier durch das Zutun meiner Frau Louise in die Hände des Warschauer Pakts geraten war. Natürlich konnte sie einen Helfer haben, das war meine Hoffnung. Dass sie nicht das direkte Verbindungsglied zu dem ausländischen Nachrichtendienst war, sondern eine Art Hilfswerkzeug für einen Spion, der die entscheidenden Kontakte unterhielt. Doch nicht einmal daran vermochte ich zu glauben. Ich hatte ihr Leben bis ins kleinste Detail untersucht. Es gab niemanden, den sie regelmäßig traf. Ich hatte weiterhin keine Ahnung, wie sie vorgegangen war. Ich wusste nicht einmal, wie sie mein falsches Dokument kopiert hatte. Hatte sie es abfotografiert oder abgeschrieben? Hatte sie es sich nur eingeprägt? Und wie hatte sie die Informationen weitergeleitet? Noch wichtiger war natürlich die Frage, wie sie an andere geheime Dokumente herankam. Der magere Inhalt meines Waffenschranks konnte nicht ausreichend sein. Mit wem arbeitete sie zusammen? Ich wusste es nicht, obwohl ich länger als ein Jahr meine freie Zeit damit verbracht hatte, zu begreifen, was vor sich ging. Aber ich war gezwungen, meinen eigenen Augen zu trauen. Ich lag da in der Kabine und spürte die Vibrationen der starken Schiffsmaschinen. Es gab keine Ausflucht mehr. Ich musste mir eingestehen, dass ich mit einer Frau verheiratet war, die ich nicht kannte. Was bedeutete, dass ich auch mich selbst nicht kannte. Wie konnte ich mich so in ihr getäuscht haben?«
Håkan von Enke stand auf und rollte die Seekarte zusammen. Als er sie in die Ecke zurückgelegt hatte, öffnete erdie Tür und ging hinaus. Wallander hatte das Gehörte noch nicht richtig verarbeitet. Es war zu groß und umfassend. Es gab auch noch immer Fragen, die nach Antworten verlangten.
Von Enke kam zurück, schloss die Tür und kontrollierte seinen Hosenschlitz.
»Du hast von Ereignissen erzählt, die zwanzig Jahre zurückliegen«, sagte Wallander. »Das ist eine lange Zeit. Warum ist das, was passiert ist, gerade jetzt passiert?«
Håkan von Enke wirkte plötzlich unwillig, mürrisch, als er antwortete. »Was habe ich gesagt, als wir dieses Gespräch angefangen haben? Hast du es vergessen? Ich habe gesagt, dass ich meine Frau liebte. Daran konnte ich nichts ändern. Was immer sie getan hatte.«
»Du musst sie aber doch zur Rede gestellt haben?«
»Musste ich das wirklich?«
»Eine Sache war, dass sie unserem Land geschadet hatte. Aber sie hat auch dich getäuscht. Deine Geheimnisse gestohlen. Du konntest doch unmöglich mit ihr weiterleben, ohne ihr zu eröffnen, was du wusstest.«
»Wieso nicht?«
Wallander fiel es schwer, zu glauben, was er hörte. Aber der Mann, der seine leere Teetasse zwischen den Händen rollte, wirkte überzeugend.
»Du hast ihr also nichts gesagt?«
»Nie.«
»Niemals? Das klingt unfassbar.«
»Aber es ist so. Ich nahm keine geheimen Papiere mehr mit nach Hause. Es war keine plötzliche Veränderung. Als ich kurz darauf einen anderen Aufgabenbereich übernahm, konnte ich begründen, dass meine
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