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Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Titel: Wallander 09 - Der Feind im Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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jetzt beschäftigten.
    Als er sich nach dem Spaziergang die nassen Sachen ausgezogen hatte, setzte er sich in seinem abgetragenen Morgenmantel ans Telefon und blätterte im Telefonverzeichnis. Es war voller durchgestrichener Telefonnummern, Änderungen und Zusätze. Auf der Rückfahrt am Tag zuvor war ihm ein Klassenkamerad eingefallen, Sölve Hagberg, der ihm vielleicht helfen konnte. Er suchte nach seiner Telefonnummer, die er aufgeschrieben hatte, als sie sich vor einigen Jahren zufällig in Malmö begegnet waren.
     
    Sölve Hagberg war schon als Kind ein Sonderling gewesen. Wallander erinnerte sich beschämt daran, dass er selbst zu denen gehört hatte, die Sölve gemobbt hatten. Wegen seiner Kurzsichtigkeit und seines ehrlichen Willens, etwas zu lernen. Aber alle Versuche, das Selbstvertrauen des Strebers zu erschüttern, schlugen fehl. Alle höhnischen Sprüche, alle Fußtritte und Rempeleien waren an ihm abgeprallt.
    Nach der Schulzeit hatten sie keinen Kontakt mehr gehabt, bis Wallander eines Tages zu seiner Verblüffung entdeckt hatte, dass Sölve Hagberg als Kandidat in einem Fernsehquiz mit Namen Kvitt eller Dubbelt auftreten sollte. Noch verblüffender war es, dass die Geschichte der schwedischen Flotte das Thema war, zu dem er antrat. Sölve war schon als Kind übergewichtig gewesen, was natürlich den Mobbern die Wahl ihres Opfers erleichtert hatte. War er damals übergewichtig gewesen, so war er jetzt richtiggehend fett. Es sah aus, als rollte er auf unsichtbaren Rädern ins Studio. Er war glatzköpfig, trug eine randlose Brille und sprach noch immer den schwer verständlichen Dialekt, an den sich Wallander aus der Schulzeit erinnerte. Mona hatte sein Aussehen mit Abscheu kommentiert und war in die Küche gegangen, um Kaffee zu kochen, während Wallander zuschaute, wie er sämtliche Fragen, die ihm gestellt wurden, richtig beantwortete. Er hatte gewonnen, nachdem er mit der größten Selbstverständlichkeit und ohne je zu zweifeln seine präzisen und detaillierten Antworten gegeben hatte. Er wusste wirklich alles über die lange und verwickelte Geschichte der Flotte. Es war Sölve Hagbergs Traum gewesen, seinen Militärdienst bei der Marine abzuleisten und anschließend Marineoffizier auf Lebenszeit zu werden. Aber natürlich war er wegen seiner Schwerfälligkeit als Wehrpflichtiger ausgemustert und zu seinen Büchern und Schiffsmodellen nach Hause geschickt worden. Jetzt hatte er seine Revanche bekommen, oder eher genommen.
    Für eine kurze Zeit hatten sich die Zeitungen für dieseneigentümlichen Mann interessiert, der immer noch in Limhamn wohnte und seinen Lebensunterhalt mit Vorträgen und Artikeln in Zeitschriften und Jahrbüchern verschiedener militärischer Institutionen bestritt. In den Berichten über Sölve war auch von seinem enormen Archiv die Rede gewesen. Er hatte detaillierte Informationen über schwedische Seeoffiziere vom siebzehnten Jahrhundert bis in die Gegenwart gesammelt und laufend auf den jüngsten Stand gebracht. Vielleicht konnte Wallander in diesem Archiv etwas finden, was ihm mehr darüber verriet, wer Håkan von Enke eigentlich war.
    Wallander fand schließlich die Nummer, sie war unter dem Buchstaben H an den abgegriffenen Rand gekritzelt. Er zog das Telefon heran und wählte die Nummer. Eine Frau meldete sich. Wallander stellte sich vor und fragte nach Sölve.
    »Er ist tot.«
    Wallander verschlug es die Sprache. Die Frau fragte nach einer Weile des Schweigens, ob er noch da sei.
    »Ja, ich bin noch da. Ich wusste nicht, dass er tot ist.«
    »Er ist vor zwei Jahren gestorben. Er hatte einen Herzinfarkt. Er war in Ronneby und hatte vor einer Gruppe ehemaliger Maschinisten, die zum festen Stamm der Flotte gehört hatten, einen Vortrag gehalten. Beim anschließenden Essen brach er zusammen. Ich bekam die seltsame Mitteilung, dass er ›zwischen Hauptgericht und Nachtisch verschieden‹ sei.«
    »Sie sind seine Frau, vermute ich?«
    »Asta Hagberg. Wir waren sechsundzwanzig Jahre verheiratet. Ich habe ihm gesagt, dass er abnehmen müsse. Daraufhin tat er nur noch drei Stück Zucker in seinen Kaffee – statt vier. Und wer sind Sie?«
    Wallander erklärte, wer er war, und wollte das Gespräch so schnell wie möglich beenden.
    »Sie waren einer von denen, die ihn gepiesackt haben«,sagte sie, »jetzt fällt mir Ihr Name wieder ein. Er hatte Ihre Namen aufgeschrieben und verfolgte genau, wie Ihr Leben verlief. Er schämte sich nicht, voller Freude zu notieren, wenn es jemandem

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