Wallander 09 - Der Feind im Schatten
Kopenhagen.«
»Ich bin heute Nachmittag nicht zu Hause. Ruf mich heute Abend an. Dann können wir weitersprechen. Ich möchte natürlich wissen, wie Hans reagiert.«
»Er wird sich freuen, was denn sonst!«
Wallander schämte sich, als er den Hörer auflegte. Er musste sich auf Lindas Zorn gefasst machen, wenn die Wahrheit eines Tages ans Licht kam.
Missmutig verließ er das Haus und fuhr nach Ystad zum Einkaufen. Er erstand einen neuen Kochtopf, den er nicht brauchte, und dachte, dass die Lebensmittelpreise unverschämt hoch waren. Er machte einen Spaziergang durch Ystads Zentrum, ging in ein Herrenbekleidungsgeschäft und erstand ein Paar Strümpfe, die er ebenfalls nicht brauchte. Dann fuhr er nach Hause. Nach dem Regen hatte es aufgeklart und war wärmer geworden. Er wischte die Hollywoodschaukel trocken und legte sich hinein. Als er aufwachte, war es halb vier. Er setzte sich in den Wagen und fuhr nach Limhamn. Was er eigentlich erwartete, wusste er nicht. Bei seiner Ankunft empfand er die gewohnte Mischung aus Beklemmung und Nostalgie, die ihn stets befiel, wenn er an den Ort seiner Kindheit zurückkehrte. Er parkte den Wagen in der Nähe von Asta Hagbergs Einfamilienhaus und wanderte zu dem Mietshaus, in dem er selbst aufgewachsen war. Zwar war die Fassade renoviert, und ein neuer Zaun umgab das Haus, aber es erinnerte ihn doch alles an seine Kindheit. Der Sandkasten war damals kleiner gewesen. Und die zwei Birken, auf die er immer geklettert war, gab es nicht mehr. Er blieb auf dem Bürgersteig stehen und sah Kindern beim Spielen zu. Sie waren dunkelhäutig, kamen sicher aus dem Mittleren Osten oder aus Nordafrika. Eine Frau mit Kopftuch saß neben der Haustür und strickte, während sie gleichzeitig ein Auge auf die Kinder hatte. Durch ein offenes Fenster hörte Wallander arabische Musik. Hier habe ich gewohnt, dachte er. In einer anderen Welt, in einer anderen Zeit.
Ein Mann trat aus dem Haus und ging zum Gartentor. Auch er war dunkelhäutig.
Er betrachtete Wallander mit einem Lächeln. »Suchen Sie jemand?«, fragte er in unsicherem Schwedisch.
»Nein«, antwortete Wallander. »Ich habe vor sehr langer Zeit in diesem Haus gewohnt. Einer meiner Nachbarn war Lokführer.«
Er zeigte auf das Fenster im ersten Stock, das zu ihrem Wohnzimmer gehört hatte.
»Es ist ein gutes Haus«, sagte der Mann. »Wir fühlen uns wohl hier, die Kinder fühlen sich wohl. Man braucht keine Angst zu haben.«
»Das ist gut. Menschen sollten keine Angst haben.«
Wallander nickte und ging davon. Das Gefühl, alt zu werden, bedrückte ihn. Er beschleunigte seine Schritte, um von sich selbst fortzukommen.
Ein ungepflegter Garten umgab das Haus, in dem Asta Hagberg wohnte.
Die Frau, die ihm aufmachte, war genauso dick wie Sölve Hagberg, als Wallander ihn im Fernsehen gesehen hatte. Sie war verschwitzt und ungekämmt und trug einen viel zu kurzen Rock. Zuerst glaubte er, sie sei es, die stark nach Parfüm roch. Dann erkannte er, dass das ganze Haus von fremden Aromen getränkt war. Spritzt sie Parfüm auf die Möbel? Sprüht sie Moschus auf die Topfpflanzen?
Sie fragte, ob er Kaffee trinken wolle. Er lehnte dankend ab, ihm war schon schlecht von den erstickenden Düften, die ihm von allen Seiten entgegenschlugen. Als sie ins Wohnzimmer traten, hatte Wallander den Eindruck, er käme auf die Kommandobrücke eines großen Schiffes. Überall Steuerräder, Kompasse und schön polierte Messingbeschläge, Votivschiffe an der Decke, eine alte Hängekoje. Asta Hagberg zwängte sich in einen hohen Drehstuhl, der, so vermutete Wallander, ebenfalls von einem Schiff stammte. Er setzte sich auf ein Sofa, das, wie ein Messingschild verriet, von der Kungsholm der schwedischen Amerikalinie stammte.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte sie, während sie sich eine Zigarette anzündete, die sie zuvor in ein Mundstück gesteckt hatte.
»Håkan von Enke«, sagte Wallander. »Ein alter U-Boot-Kapitän, inzwischen pensioniert.«
Asta Hagberg bekam plötzlich einen schweren Hustenanfall. Wallander hoffte, diese rauchende, übergewichtige Frau würde nicht vor seinen Augen sterben. Er schätzte ihr Alter auf ungefähr sechzig. So alt wie er.
»Der verschwundene von Enke«, sagte sie. »Und seine inzwischen tote Frau Louise? Stimmt das?«
»Ich weiß, dass Sölve ein einzigartiges Archiv hatte. Kann es darin etwas geben, was mir hilft zu verstehen, warum von Enke verschwunden ist?«
»Er ist natürlich tot.«
»Dann suche ich
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