Wallander 09 - Der Feind im Schatten
wusste, warum er seine Pistole eingesteckt hatte.
Als er geendet hatte, saß Linda lange schweigend da. »Ich glaube dir«, sagte sie schließlich. »Alles, was du mir jetzt erzählt hast, handelt von ein und demselben Problem in deinem Leben. Dass du viel zu allein bist. Plötzlich verlierst du die Kontrolle, und dann ist keiner in der Nähe, der dich beruhigen kann, der dich davon abhält, einfach loszubrausen. Aber eins frage ich mich immer noch.«
»Was?«
»Hast du mir alles erzählt? Oder gibt es etwas, was du nicht sagst?«
Wallander überlegte kurz, ob er ihr von dem eigentümlichen Gefühl eines auf sein Dasein fallenden Schattens erzählen sollte, doch er schüttelte nur den Kopf. Es gab nichts hinzuzufügen.
»Was wird passieren?«, fragte sie. »Ich weiß nicht mehr, welche Regeln gelten, wenn wir uns eine derartige Blöße geben.«
»Es wird ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Mehr weiß ich nicht.«
»Besteht die Gefahr, dass du entlassen wirst?«
»Ich bin wohl zu alt dafür, entlassen zu werden. Außerdem ist das, was ich getan habe, nicht dermaßen gravierend.Aber vielleicht fordern sie mich auf, mich vorzeitig pensionieren zu lassen.«
»Wäre das nicht schön?«
Wallander kaute an einem Apfel, als sie ihre Frage stellte. Mit aller Kraft warf er den Griebs an die Wand. »Hast du nicht eben gesagt, die Einsamkeit wäre mein Problem? Wie würde es denn erst werden, wenn ich in Pension gehen müsste? Dann bliebe mir ja überhaupt nichts mehr.«
Das Kind erwachte von seiner erregten Stimme.
»Entschuldige«, sagte er.
»Du hast Angst«, sagte sie. »Das verstehe ich, hätte ich auch. Ich glaube nicht, dass man sich für seine Angst entschuldigen muss.«
Linda blieb bis zum Abend, machte ihm Essen, und sie sprachen nicht mehr über das, was geschehen war. Kurt brachte sie in dem böigen und kalten Wind ans Auto.
»Kommst du jetzt zurecht?«, fragte sie.
»Ich werde schon überleben. Aber ich bin froh, dass du fragst.«
Am nächsten Tag rief Lennart Mattson an und wollte Wallander noch am selben Tag sprechen. Bei diesem Treffen wurde Wallander einem internen Ermittler aus Malmö vorgestellt, der ihn vernehmen sollte.
»Wann es passt«, sagte der Ermittler, der in Wallanders Alter war. Er hieß Holmgren.
»Es passt jetzt«, sagte Wallander. »Worauf sollten wir warten?«
Sie zogen sich in einen der kleineren Sitzungsräume des Präsidiums zurück. Wallander bemühte sich, exakt zu sein, sich nicht zu entschuldigen und das Geschehene nicht zu beschönigen. Holmgren machte Notizen, bat Wallander hin und wieder, noch einmal einen Schritt zurückzugehen, eine Antwort zu wiederholen und dann weiterzugehen. Wallander dachte, dass die Vernehmung bei vertauschten Rollenwahrscheinlich genauso abgelaufen wäre. Nach einer guten Stunde waren sie fertig. Holmgren legte den Stift beiseite und betrachtete Wallander, nicht wie man einen Verbrecher betrachtet, der gerade ein Geständnis abgelegt hat, sondern wie jemanden, der eine große Dummheit gemacht hat. Es sah beinah so aus, als hätte er Mitleid.
»Du hast nicht geschossen«, sagte Holmgren. »Du hast deine Dienstwaffe vergessen, als du in angetrunkenem Zustand in einem Lokal gewesen bist. Du hast niemanden misshandelt, keine Bestechungsgelder angenommen, niemanden belästigt.«
»Ich werde also nicht entlassen?«
»Wohl kaum. Aber das entscheide nicht ich.«
»Und wenn du eine Vermutung anstellen würdest?«
»Das will ich nicht. Du musst abwarten.«
Holmgren sammelte seine Papiere ein und verstaute sie sorgfältig in seiner Aktentasche. Plötzlich hielt er inne. »Es wäre natürlich ein Vorteil, wenn nichts zu den Medien durchsickerte«, sagte er. »Dann könnten wir einen Vorfall wie diesen vertuschen und intern regeln.«
»Ich glaube, das könnte klappen«, sagte Wallander. »Da bisher keine Meldung gekommen ist, könnte es sein, dass nichts durchgesickert ist.«
Doch Wallander irrte sich. Noch am selben Tag klopfte es an seiner Tür. Wallander, der sich hingelegt hatte, ging und öffnete. Er erwartete einen Nachbarn, mit dem er eine gemeinsame Arbeit besprechen wollte. Als er die Tür aufmachte, wurde er sofort vom Blitz eines Fotografen geblendet. Neben dem Mann stand eine Reporterin, die sich als Lisa Halbing vorstellte und ein Lächeln hatte, das Wallander sofort als künstlich empfand.
»Können wir mit Ihnen sprechen?«, fragte sie aufdringlich.
»Worüber denn?«, fragte Wallander, der schon Bauchschmerzen
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