Wallander 09 - Der Feind im Schatten
dazwischen schöne Farbfotografien. Schmetterlinge und ein bedrohter Planet, dachte Wallander. Und Unordnung in einer Schreibtischschublade. Er konnte sich keinen Reim darauf machen.
Da entdeckte er unter dem Sessel die Ecke einer Zeitschrift. Er zog sie hervor und hielt eine englische oder amerikanische Zeitschrift über Kriegsschiffe in der Hand. Wallander blätterte sie durch. Sie enthielt eine bunte Mischung von Artikeln über den Flugzeugträger Ronald Reagan bis zu Bildern von U-Booten, die noch im Entwicklungsstadium waren. Wallander legte die Zeitschrift zur Seite und betrachtete erneut den Dokumentenschrank. Zu sehen, ohne zu sehen. Es war das Erste, wovor Rydberg ihn gewarnt hatte, nicht wirklich wahrzunehmen, was man eigentlich sah. In einer der Schubladen lag ein Staubtuch. Er wischt also auch selbst Staub, dachte Wallander. Kein Staubkorn auf seinen Dokumenten, Ordnung und Sauberkeit. Er drehte den Stuhl und betrachtete erneut die geöffnete Mittelschublade, in der alles kunterbunt durcheinanderlag, ein lebender Widerspruch.Vorsichtig machte er sich daran, den Inhalt zu durchsuchen. Aber nichts erregte seine Aufmerksamkeit. Nur die Unordnung als solche bereitete ihm Kopfzerbrechen. Sie war kein natürlicher Teil von Håkan von Enke. Oder war die Unordnung das Natürliche und die Ordnung das Unnatürliche?
Er stand auf und tastete die Oberseite des Dokumentenschranks ab. Dort lag ein Bündel Papiere, das er herunternahm. Es war ein Bericht über die politische Situation in Kambodscha, verfasst von Robert Jackson und Evelyn Harrison. Zu seiner Verwunderung sah Wallander, dass der Bericht vom amerikanischen Außenministerium herausgegeben war. Er stammte aus dem März 2008, war also ganz neu. Wer ihn auch gelesen haben mochte, hatte es mit starken Emotionen getan, manche Sätze waren unterstrichen, und am Rand fanden sich Anmerkungen mit großen, kräftigen Ausrufezeichen. Wallander versuchte, sich an die offizielle schwedische Übersetzung des englischen Titels zu erinnern, On the challenges of Cambodia, based upon the legacies of the Pol Pot regime , aber es gelang ihm nicht.
Er ging zurück ins Wohnzimmer. Die Teetassen waren abgeräumt. Louise stand an einem Fenster und blickte auf die Straße hinunter. Erst als er sich räusperte, drehte sie sich um. Sie tat es so schnell, als wäre sie erschrocken. Wallander kam plötzlich die heftige Bewegung ihres Mannes auf dem Fest in Djursholm in den Sinn. Die gleiche Art von Reaktion, dachte er. Beide sind nervös, verängstigt, sie reagieren, als wären sie einer Bedrohung ausgesetzt.
Er hatte nicht geplant, die Frage zu stellen, sie kam wie von selbst, als er an den Vorfall von Djursholm dachte. »Besitzt er eine Waffe?«
»Nein. Jetzt nicht mehr. Als er noch im Dienst war, hatte er vielleicht eine. Aber hier zu Hause? Nein, nie.«
»Ihr habt kein Sommerhaus?«
»Wir haben darüber gesprochen. Aber wir haben immeretwas gemietet. Als Hans klein war, haben wir die Sommer regelmäßig draußen auf Utö verbracht. Später sind wir meistens an die Riviera gefahren und haben ein Appartement gemietet. Wir haben davon gesprochen, ein Sommerhaus zu kaufen, aber es ist nie etwas daraus geworden.«
»Und es gibt sonst keinen Ort, an dem er eine Waffe hätte aufbewahren können?«
»Nein. Wo sollte das sein?«
»Vielleicht hat er irgendwo einen Abstellraum? Gibt es hier im Haus Dachspeicher? Oder Keller?«
»Wir haben alte Möbel und Sachen aus seiner Kindheit in einem Kellerraum. Aber dass sich dort eine Waffe finden sollte, kann ich mir nicht vorstellen.«
Sie verließ den Raum und kam mit einem Schlüssel für ein Vorhängeschloss zurück. Wallander nahm ihn und steckte ihn in die Tasche. Louise von Enke fragte, ob er noch Tee haben wolle. Er lehnte ab. Zu sagen, dass er Kaffeetrinker war, fiel ihm nicht ein.
Er kehrte ins Arbeitszimmer zurück und blätterte weiter in dem Bericht über die politische Lage in Kambodscha. Warum hatte er oben auf dem Dokumentenschrank gelegen? Neben dem Lehnstuhl stand ein Fußschemel. Wallander schob ihn vor den Dokumentenschrank und stellte sich darauf auf die Zehenspitzen, so, dass er die Oberfläche überblicken konnte. Nur dort, wo der Bericht gelegen hatte, war keine Staubschicht. Wallander brachte den Schemel zurück und blieb stehen. Plötzlich merkte er, was zuvor seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Es schien, als ob Papiere fehlten, vor allem im Dokumentenschrank. Um seiner Sache ganz sicher zu sein, ging Wallander
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