Wallander 09 - Der Feind im Schatten
einigen Tischen saßen Gäste, die meisten älteren Jahrgangs.
»Alte U-Boot-Besatzungen?«, fragte Wallander, während sie dem hintersten Raum zustrebten, der leer war.
»Nicht unbedingt«, sagte Sten Nordlander. »Aber viele von ihnen kenne ich.«
Im Hinterzimmer hingen alte Uniformjacken und militärische Signalflaggen an den Wänden. Wallander hatte das Gefühl, sich in einem Requisitenlager für Militärfilme zu befinden. Sie setzten sich an einen Ecktisch. An der Wand über ihnen hing ein gerahmtes Schwarzweißfoto.
Sten Nordlander zeigte darauf. »Da haben Sie eine unsererSeeschlangen. Die Nummer zwei in der hinteren Reihe bin ich, die Nummer vier ist Håkan. Claes Hornvig war damals nicht dabei.«
Wallander stand auf, um das Bild genauer zu betrachten. Es war schwierig, die Gesichter zu erkennen. Sten Nordlander erzählte, das Foto sei in Karlskrona aufgenommen worden, kurz vor dem Auslaufen zur Langfahrt.
»Vielleicht keine richtige Traumreise«, fuhr er fort. »Wir sollten von Karlskrona nach Kvarken laufen, ganz bis Kalix hinauf und wieder zurück. Es war im November, eiskalt. Wenn ich mich richtig erinnere, hatten wir die ganze Zeit Sturm. Es schaukelte, wo wir uns auch befanden, denn der Bottnische Meerbusen ist flach. Wir kamen nie in ausreichend große Tiefen. Die Ostsee ist eine Pfütze.«
Sten Nordlander aß gierig seinen Kuchen. Aber es schien ihm egal zu sein, wie er schmeckte. Plötzlich legte er die Gabel hin. »Was ist passiert?«, fragte er.
»Ich weiß kaum mehr als Sie oder Louise.«
Sten Nordlander schob die Kaffeetasse mit einer heftigen Bewegung zur Seite. Wallander bemerkte, dass er genauso erschöpft war wie Louise. Noch jemand, der nicht schläft, dachte er.
»Sie kennen ihn«, sagte Wallander. »Sehr gut sogar. Louise sagt, Sie ständen sich sehr nah. Wenn das so ist, dann ist Ihre Ansicht von dem, was passiert ist, sehr wichtig.«
»Sie reden genau wie der Polizeibeamte, den ich in der Bergsgata besucht habe.«
»Ich bin Polizeibeamter.«
Sten Nordlander nickte. Er war sehr konzentriert. Seine Kiefer verrieten die Anspannung.
»Warum waren Sie nicht auf seinem fünfundsiebzigsten Geburtstag?«, fragte Wallander.
»Ich habe eine Schwester in Bergen in Norwegen. Ihr Mann ist plötzlich gestorben. Sie brauchte meine Hilfe. Außerdem kann ich mit großen Veranstaltungen nicht vielanfangen. Håkan und ich hatten unsere eigene Feier. Eine Woche vorher.«
»Und wo?«
»Hier. Bei Kaffee und Kuchen.«
Sten Nordlander zeigte auf eine Uniformmütze, die an der Wand hing.
»Das ist Håkans Mütze. Er hat sie gestiftet, als wir unser kleines Fest hatten.«
»Worüber haben Sie gesprochen?«
»Über das, worüber wir immer gesprochen haben, was im Oktober 1982 geschehen war. Ich tat damals auf dem Zerstörer Halland Dienst. Er sollte bald außer Dienst gestellt werden. Jetzt liegt er als Museumsschiff in Göteborg.«
»Sie waren also nicht nur auf U-Booten Maschineningenieur?«
»Ich habe auf einem Torpedoboot angefangen, dann folgten eine Korvette, U-Boot-Jäger und U-Boote, am Schluss wieder Zerstörer. Wir lagen an der Westküste, als die ersten U-Boote in der Ostsee auftauchten. Am zweiten Oktober gegen Mittag sagte Befehlshaber Nyman, wir würden mit voller Fahrt in die Schären um Stockholm laufen, um uns dort als Reserve in Bereitschaft zu halten.«
»Hatten Sie in diesen intensiven Tagen Kontakt mit Håkan?«
»Er rief mich regelmäßig an.«
»Zu Hause oder an Bord?«
»Auf dem U-Boot-Jäger. Ich war in jener Zeit nie zu Hause. Alle Urlaube waren gestrichen. Es herrschte Alarmbereitschaft, kann man wohl sagen. Man muss bedenken, dass es die wunderbare Zeit war, als noch nicht jedermann über ein Mobiltelefon verfügte. Die Wehrpflichtigen, die das Telefon des U-Boot-Jägers bedienten, kamen herunter und sagten Bescheid, dass ein Gespräch wartete. Meistens rief er nachts an. Er wollte, dass ich die Gespräche nur in meiner Kajüte in Empfang nahm.«
»Warum das?«
»Er wollte wohl nicht, dass jemand hörte, worüber wir sprachen.«
Sten Nordlander antwortete in mürrischem und widerwilligem Tonfall. Dabei zerdrückte er die Reste seines Kuchens mit der Gabel. »Wir telefonierten praktisch jede Nacht zwischen dem ersten und dem fünfzehnten Oktober. Eigentlich glaube ich nicht, dass es erlaubt war, so mit mir zu reden, wie er es tat. Aber wir vertrauten einander. Er trug schwer an seiner Verantwortung. Eine Unterwasserbombe konnte falsch landen und das U-Boot
Weitere Kostenlose Bücher