Wallander 09 - Der Feind im Schatten
konnte er als improvisierender Privatermittler angesehen werden, aber diese Leute hatten seit dem Mord an Olof Palme einen sehr schlechten Ruf.
Er wurde vom Klingeln seines Handys aus seinen Gedanken gerissen.
Es war Sten Nordlander. Seine Stimme war dunkel und heiser. »Ich weiß, wer Sie sind«, sagte er. »Louise und Håkan haben von Ihnen gesprochen. Wo kann ich Sie abholen?«
Wallander stand schon vor dem Hotel, als Nordlanders Auto am Bürgersteig bremste. Es war ein Dodge von ungefähr 1955 mit glänzendem Chrom und Weißwandreifen. Sten Nordlander war in seiner Jugend bestimmt raggare gewesen, einer jener Amischlittenfreaks, über die sich damals so viele aufgeregt hatten. Auch jetzt trug er eine Lederjacke, amerikanische Stiefel, Jeans und nur ein dünnes T-Shirt, obwohl es kalt war. Wallander fragte sich, wie es zu einer so engen Freundschaft zwischen Håkan von Enke und Sten Nordlander gekommen war. Auf den ersten Blick fiel es ihm schwer, sich zwei unterschiedlichere Männer vorzustellen. Aber es war gefährlich, nur dem äußeren Schein zu vertrauen. Einer von Rydbergs stets wiederkehrenden Aussprüchen lautete: Oberflächen sind etwas, worauf man fast immer ausgleitet .
»Springen Sie rein«, sagte Sten Nordlander.
Wallander fragte nicht, wohin sie fuhren, sondern ließ sich in den roten Ledersitz sinken, der bestimmt original war. Er stellte ein paar höfliche Fragen zu dem Wagen underhielt ebenso höfliche Antworten. Dann schwiegen sie. Zwei große Würfel aus einem wollartigen Material baumelten am Rückspiegel. In seiner frühesten Jugend hatte Wallander viele Autos dieser Art gesehen. Hinter den Lenkrädern saßen Männer um die vierzig, ihre Anzüge glänzten wie das Chrom der Wagen. Sie kauften die Bilder seines Vaters im Dutzend auf und bezahlten mit Scheinen, die sie von dicken Geldbündeln abzählten. Er hatte sie damals »die Seidenritter« genannt. Später hatte er begriffen, dass sie seinen Vater demütigten, indem sie viel zu wenig für seine Bilder zahlten.
Die Erinnerung ließ ihn einen Anflug von Melancholie verspüren. Eine Zeit, die vorbei war, unwiderruflich.
Der Wagen hatte keine Sicherheitsgurte. Sten Nordlander sah, wie Wallander danach suchte.
»Der Wagen gilt als antikes Stück«, sagte er. »Ich habe eine Ausnahmegenehmigung wegen der Sicherheitsgurte.«
Sie kamen irgendwo auf Värmdö heraus. Wallander hatte bereits jedes Gefühl für Richtung und Entfernung verloren. Nordlander hielt das schaukelnde Gefährt vor einem braun gestrichenen Haus an, das ein Café beherbergte.
»Die Inhaberin des Cafés war mit einem guten Freund von Håkan und von mir verheiratet«, sagte Sten Nordlander. »Matilda ist inzwischen Witwe, ihr Mann Claes Hornvig war Erster Offizier auf einer Schlange, auf der Håkan und ich fuhren.«
Wallander nickte. Er erinnerte sich, dass Håkan von Enke diesen U-Boot-Typ erwähnt hatte.
»Wir unterstützen sie. Sie hat das Geld nötig. Außerdem macht sie guten Kaffee.«
Als Wallander eintrat, fiel sein Blick sofort auf ein Periskop mitten im Raum. Sten Nordlander erklärte, von welchem eingemotteten U-Boot es stammte, und Wallander wurde klar, dass er sich jetzt in einem privaten U-Boot-Museum befand.
»Es wurde zur Gewohnheit«, sagte Sten Nordlander. »Alle, die je auf schwedischen U-Booten gefahren sind, entweder als feste Besatzung oder als Wehrpflichtige, machten mindestens eine Pilgerfahrt zu Matildas Café. Und man brachte immer irgendetwas Gutes mit, alles andere war undenkbar. Ein bisschen gestohlenes Porzellan, eine Wolldecke, sogar funktionierende Steuerruder und Regler. Höhepunkte waren natürlich die Gelegenheiten, wenn U-Boote außer Dienst gestellt und verschrottet werden sollten. Dann haben viele sich einfach bedient, und immer war jemand dabei, der eine Kollekte für Matilda organisierte. Da spendete man kein Geld, sondern lieber einen Tiefenmesser, den man in dem ausgemusterten U-Boot losgeschraubt hatte.«
Eine etwa zwanzigjährige Frau kam durch die Schwingtür aus der Küche.
»Matildas und Claes’ Enkelin Marie«, sagte Sten Nordlander. »Matilda kommt noch manchmal her, aber sie ist über neunzig. Sie behauptet, ihre Mutter sei hunderteins und ihre Großmutter hundertdrei Jahre alt geworden.«
»Das stimmt«, sagte das Mädchen. »Mutter ist fünfzig. Sie geht davon aus, dass sie ihr halbes Leben gelebt hat.«
Sie bekamen ein Tablett mit Kaffee und Zimtschnecken. Sten Nordlander nahm außerdem eine Napoleonschnitte. An
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