Wallander 09 - Der Feind im Schatten
abgebrochen. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Er musste es sagen, wie es war. Er hatte schon mehr als zehn Minuten gesprochen, als er zum entscheidenden Punkt kam. Und Palme habe ihm zugehört, sagte er. Mit halb geöffnetem Mund und ohne den Blick von ihm zu wenden. Hinterher habe Palme lange nachgedacht, bevor er begonnen habe, Fragen zu stellen. Zunächst wollte er wissen, ob das Militär sich bezüglich der Nationalität des U-Boots sicher gewesen sei, ob es wirklich dem Warschauer Pakt angehört habe. Håkan habe mit einer Gegenfrage geantwortet, sagte Sten Nordlander. Er habe gefragt, was es denn sonst gewesen sein solle. Palme habe darauf nicht geantwortet, nur den Kopf geschüttelt. Als Håkan begonnen habe, von Landesverrat und einem militärpolitischen Skandal zu sprechen, habe Palme ihn unterbrochen und gesagt, dies sei eine Diskussion, die auf andere Weise geführt werden müsse, nicht unter vier Augen beim Ministerpräsidenten. Danach waren sie nicht weitergekommen. Ein Sekretär hatte vorsichtig die Tür geöffnet und Palme an seinen nächsten Termin erinnert. Als Håkan zum Auto zurückkam, war er verschwitzt, aber erleichtert und voller Optimismus, dass jetzt etwas geschehen würde. Der Ministerpräsident hatte seinen Vorwurf, es sei Verrat begangen worden, verstanden. Jetzt würde er von seinem Verteidigungsminister und seinem Oberbefehlshaber Aufklärungverlangen. Wer hatte den Käfig geöffnet und das U-Boot entkommen lassen? Und vor allem, warum?«
Sten Nordlander hielt inne und warf einen Blick auf seine Armbanduhr, bevor er fortfuhr: »Es war Weihnachten. Alles stand ein paar Tage still, aber kurz vor Neujahr wurde Håkan zu einem Gespräch beim Oberbefehlshaber beordert. Der erteilte ihm eine scharfe Rüge, weil er hinter seinem Rücken Olof Palme aufgesucht hatte. Aber Håkan begriff, dass die eigentliche Kritik sich gegen den Ministerpräsidenten selbst richtete, der einen Marineoffizier auf Irrwegen nicht hätte empfangen dürfen.«
»Aber er grub weiter in der Geschichte nach? Er ließ nicht locker? Obwohl er kaltgestellt wurde?«
»Er hat seitdem nicht aufgehört damit. Seit fünfundzwanzig Jahren nicht.«
»Sie sind sein engster Freund. Er muss mit Ihnen über die Drohungen gesprochen haben, die er erhielt?«
Sten Nordlander nickte, ohne einen Kommentar abzugeben.
»Und jetzt ist er verschwunden?«
»Er ist tot. Jemand hat ihn getötet.«
Die Antwort kam schnell und hart. Sten Nordlander hatte von Håkans Tod gesprochen, als gäbe es keinen Zweifel.
»Wie können Sie so sicher sein?«
»Welchen Grund gibt es, zu zweifeln?«
»Wer hat ihn getötet? Und warum?«
»Ich weiß es nicht. Aber vielleicht wusste er etwas, was am Ende zu gefährlich wurde.«
»Es ist fünfundzwanzig Jahre her, dass diese U-Boote die schwedischen Hoheitsgrenzen verletzten. Was kann nach so vielen Jahren noch gefährlich sein? Herrgott, die Sowjetunion existiert nicht mehr, die Berliner Mauer ist abgerissen. Und die DDR? Das ist alles Vergangenheit. Was sind das für Schatten, die jetzt plötzlich auftauchen sollten?«
»Wir glauben, dass alles vorbei ist. Aber es kann ja sein,dass jemand nur draußen in den Kulissen gewesen ist und die Kleider gewechselt hat. Das Repertoire kann sich geändert haben, aber die Bühne, auf der sich alles abspielt, ist dieselbe.«
Sten Nordlander stand auf. »Wir können ein andermal weiterreden«, sagte er. »Jetzt wartet meine Frau auf mich.«
Er fuhr Wallander zum Hotel zurück.
Kurz bevor sie sich trennten, fiel Wallander noch eine Frage ein. »Hatte Håkan noch jemanden, der ihm richtig nahestand?«
»Keiner stand ihm nahe. Vielleicht Louise. Alte Seebären sind oft reserviert. Sie wollen für sich sein. Ich stand ihm kaum nahe. Aber vielleicht standen wir uns näher , um es einmal so zu sagen.«
Wallander merkte, dass Sten Nordlander zögerte. »Steven Atkins«, sagte er schließlich. »Ein amerikanischer U-Boot-Kapitän. Ein, zwei Jahre jünger. Ich glaube, er wird im nächsten Jahr fünfundsiebzig.«
Wallander zog sein Notizbuch hervor und notierte den Namen. »Haben Sie eine Adresse von ihm?«
»Er lebt in Kalifornien, in der Nähe von San Diego. Er war auf Groton stationiert, dem großen Marinestützpunkt.«
Wallander fragte sich, warum Louise den Namen Steven Atkins nicht erwähnt hatte. Aber damit wollte er Sten Nordlander nicht behelligen, der es eilig zu haben schien und ungeduldig ans Gaspedal tippte.
Wallander sah dem glänzenden Wagen hinterher,
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