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Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Titel: Wallander 09 - Der Feind im Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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würde ein schöner Tag werden. Um kurz nach zwölf erreichte er Mariefred. Nachdem er an einer Raststätte zu Mittag gegessen und eine Weile im Wagen geschlafen hatte, suchte er den Weg nach Amalienborg, einer ehemaligen Volkshochschule mit Nebengebäuden. In der Anmeldung zeigte er seinen Polizeiausweis und hoffte, dies würde ausreichen, um zumindest zu erfahren, ob er am richtigen Ort gelandet war. Das Mädchen in der Anmeldung war unsicher und holte eine Leiterin, die Wallanders Ausweis sorgfältig studierte.
    »Signe von Enke«, sagte er freundlich. »Das ist alles, was ich wissen muss. Lebt sie hier? Es geht um ihre Eltern, die vermisst werden.«
    Die Leiterin trug eine Anstecknadel mit ihrem Namen: Anna Gustafsson.
    Sie hörte Wallanders Erklärung an und betrachtete ihn prüfend. »Der Korvettenkapitän?«, fragte sie. »Meinen Sie den?«
    »Den meine ich«, sagte Wallander und verbarg seine Verwunderung nicht.
    »Ich habe von ihm in der Zeitung gelesen.«
    »Ich spreche von seiner Tochter«, sagte Wallander. »Lebt sie hier?«
    Anna Gustafsson schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie.»Wir haben niemanden mit Namen Signe. Unter unseren Insassen befindet sich keine Patientin, die die Tochter eines Korvettenkapitäns ist. Das kann ich Ihnen versichern.«
     
    Wallander setzte seine Fahrt fort. Er musste ein kräftiges Gewitter durchfahren und war gezwungen anzuhalten, weil er keine Sicht mehr hatte. Er bog in einen Seitenweg ein und stellte den Motor ab. Als er dort saß, eingeschlossen wie in einer Blase, während der Regen aufs Wagendach trommelte, versuchte er noch einmal, das Geschehen rund um das Verschwinden der von Enkes zu durchdringen. Håkan von Enke war zuerst verschwunden, freiwillig oder als Opfer eines Verbrechens oder eines Unglücks. Aber das musste nicht bedeuten, dass Louises Verschwinden eine direkte Folge davon war. Das war eine Binsenweisheit, die er kannte, seit Rydberg sein Mentor gewesen war. Mehr als einmal hatte sich herausgestellt, dass die Zusammenhänge genau umgekehrt verliefen: Das zuletzt Entdeckte oder Eingetroffene war die Einleitung und nicht der Abschluss gewesen. Wieder dachte er an die Unordnung in der einen von Håkan von Enkes Schreibtischschubladen. Der Kompass in seinem Kopf drehte sich, ohne eine bestimmte Richtung anzuzeigen.
    Alles konnte Einbildung sein. Nicht einmal Håkan von Enkes heimliche Unruhe musste in einer Wirklichkeit verankert sein. Wallander hatte oft genug Gespenster gesehen, auch wenn es ihm meistens gelungen war, Einbildungen gegenüber einen kühlen Kopf zu bewahren. In seinem Beruf hatte er über die Jahre hin nach zahlreichen verschwundenen Menschen gesucht. Fast immer hatte es schon früh Anzeichen dafür gegeben, ob eine natürliche Erklärung nahelag oder ob es angebracht war, sich Sorgen zu machen. Bei Håkan und Louise war er sich nicht sicher. Das Ganze war wirklich sehr unklar, dachte er, während er im Wagen saß und darauf wartete, dass die Sicht sich besserte.
    Als der Regen endlich nachgelassen hatte, suchte er denWeg zum Niklasgård, der idyllisch an einem auf der Karte als Vångsjön bezeichneten See gelegen war. Die weißen Holzhäuser lagen an einem Hang, hier und da Wäldchen mit alten und hohen Laubbäumen, weiter entfernt Getreidefelder und Weiden. Wallander war aus dem Wagen gestiegen und sog die nach dem Regen frische Luft in die Lungen. Es kam ihm vor, als betrachtete er eine der alten Bildtafeln, die in seinem Klassenzimmer in der Volksschule in Limhamn gehangen hatten. Bildtafeln mit biblischen Landschaften, immer Palästina mit Schafherden und Hirten, und die schwedische Kulturlandschaft in all ihren Varianten. Für einen kurzen Moment befiel ihn eine wehmütige Sehnsucht nach dieser Bildtafelzeit , doch er wischte die Erinnerungsbilder fort. Sentimentalität angesichts der Vergangenheit würde die Gedanken an das Altern nur noch quälender und erschreckender machen.
    Er holte den Feldstecher aus seinem Rucksack und betrachtete die Häuser und die umgebende parkähnliche Landschaft. Er lächelte grimmig bei dem Gedanken, dass er wie ein Periskop war, das in dieser schönen Sommerlandschaft auftauchte, ein U-Boot an Land, getarnt als Peugeot mit Schrammen im Lack. Im Schatten unter Bäumen entdeckte er zwei Rollstühle. Er stellte das Fernglas scharf und versuchte, es ruhig zu halten. In einem der Rollstühle erkannte er eine Frau, deren Alter er nicht bestimmen konnte; ihr Kopf war tief auf die Brust gesunken. Im zweiten

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