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Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Titel: Wallander 09 - Der Feind im Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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um etwas zu essen, war er absolut sicher: Alle Spuren des behinderten Mädchens waren sorgsam beseitigt worden.
    Er aß in einem Restaurant, das sich »ungarisch« nannte, obwohl die gesamte Bedienung und das Personal in der offenen Küche Italienisch sprachen. Als er in dem langsamen Aufzug wieder in den zweiten Stock hinauffuhr, überlegte er, wo er schlafen sollte. In Håkan von Enkes Arbeitszimmer stand eine Couch. Aber er legte sich schließlich imWohnzimmer hin, wo er mit Louise Tee getrunken hatte, und deckte sich mit einer Wolldecke mit Schottenmuster zu.
    Gegen ein Uhr wurde er von ein paar lauten Nachtschwärmern geweckt. Und da, als er in dem dunklen Zimmer lag, wurde er plötzlich hellwach. Es war undenkbar, dass keinerlei Spuren von dem Mädchen, das jetzt im Niklasgård lebte, geblieben sein sollten. Es empörte ihn geradezu, dass er noch keine Bilder oder zumindest ein Dokument gefunden hatte, eines jener bürokratischen Identitätszeichen, die alle Schweden von Geburt an umgeben. So tappte er erneut durch die Wohnung. Er hatte eine kleine Taschenlampe mitgenommen, mit der er in die dunkelsten Ecken leuchtete. Aus Furcht, einer der Nachbarn im Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite könnte Verdacht schöpfen, schaltete er möglichst keine Lampen ein, aber gleichzeitig dachte er an die Lampen, die Håkan von Enke nachts ständig hatte brennen lassen. War das wirklich wahr? War die unsichtbare Grenzlinie zwischen Lüge und Wirklichkeit in der Familie Enke nicht ungewöhnlich leicht zu überschreiten? Er blieb in der Küche stehen und versuchte, eine Antwort zu finden. Dann machte er unverdrossen weiter, es war der Bluthund in ihm, den er zuweilen hervorlocken konnte und dem er jetzt keine Ruhe lassen würde, bevor er nicht die Spuren von Signe gefunden hatte, die es einfach geben musste.
    Gegen vier Uhr am Morgen war er auch erfolgreich. Im Bücherregal, hinter einigen großen Kunstbänden versteckt, fand er ein Fotoalbum. Es waren nicht viele Bilder, aber sie waren ordentlich eingeklebt, die meisten hatten verblasste Farben, einige waren schwarzweiß. Außer den Fotos enthielt das Album nichts, keine geschriebenen Kommentare. Es gab keine Bilder von beiden Geschwistern zusammen, doch das hatte er auch nicht erwartet. Als Hans geboren wurde, war Signe schon verschwunden, weggegeben, ausgewischt. Wallander zählte knapp fünfzig Bilder. Die meistenzeigten Signe allein, liegend, in unterschiedlichen Stellungen. Aber auf dem letzten Bild hielt Louise sie im Arm, ernst und ohne in die Kamera zu blicken. Das Bild strahlte eine unendliche Einsamkeit aus und ließ erkennen, dass Louise eigentlich nicht dort sitzen und ihr Kind halten wollte; es berührte Wallander äußerst unangenehm und erfüllte ihn mit Trauer. Er schüttelte den Kopf.
    Dann legte er sich wieder aufs Sofa. Er war sehr müde, aber zugleich erleichtert und schlief sofort ein. Mit einem Ruck erwachte er gegen acht Uhr, als auf der Straße ein Auto hupte. Er hatte von Pferden geträumt. Eine Herde war über die Sanddünen von Mossby galoppiert und geradewegs ins Wasser gestürmt. Er versuchte, den Traum zu deuten, doch ohne Erfolg. Es gelang ihm fast nie, er wusste nicht, wie er mit Träumen umgehen sollte. Er ließ sich ein Bad ein, trank Kaffee und rief gegen neun Uhr Ytterberg an, der in einer Sitzung war. Wallander konnte ihm jedoch eine Nachricht zukommen lassen und erhielt als Antwort eine SMS. Ytterberg wollte ihn um halb elf am Stadshus treffen, auf der Wasserseite. Wallander erwartete ihn schon, als Ytterberg auf seinem Fahrrad angestrampelt kam. Sie setzten sich in ein Café, jeder mit einer Tasse Kaffee vor sich auf dem Tisch.
    »Was tust du hier?«, fragte Ytterberg. »Ich dachte, du ziehst Kleinstädte oder das Land vor.«
    »Das tue ich auch, aber manchmal geht es nicht anders.«
    Wallander erzählte von Signe. Ytterberg hörte aufmerksam zu, ohne ihn zu unterbrechen. Zum Schluss erzählte Wallander von dem Fotoalbum, das er in der Nacht gefunden hatte. Er hatte es in einer Plastiktüte mitgebracht, die er jetzt auf den Tisch legte.
    Ytterberg schob die Tasse zur Seite, wischte sich die Hände ab und blätterte vorsichtig das Album durch. »Wie alt kann sie heute sein?«, fragte er. »Vierzig?«
    »Wenn ich Atkins richtig verstanden habe.«
    »Hier sind keine Bilder von ihr, die sie älter als zwei, höchstens drei Jahre alt zeigen.«
    »Genau das ist es«, sagte Wallander. »Es sei denn, es existiert ein weiteres Album.

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