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Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Titel: Wallander 09 - Der Feind im Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Aber das glaube ich nicht. Nach ihren ersten zwei Lebensjahren ist sie wie ausgelöscht.«
    Ytterberg schnitt eine Grimasse und schob das Album vorsichtig wieder in die Plastiktüte. Ein weißes Passagierschiff zog draußen auf Riddarfjärden vorbei.
    Wallander rückte seinen Stuhl in den Schatten. »Ich hatte vor, zum Niklasgård zurückzufahren«, sagte er. »Trotz allem bin ich ein Teil der Familie dieses Mädchens. Aber ich brauche deine Zustimmung. Du musst wissen, was ich unternehme.«
    »Was kann es dir bringen, sie zu treffen?«
    »Ich weiß nicht. Aber ihr Vater hat sie am Tag vor seinem Verschwinden besucht. Und danach ist niemand mehr bei ihr gewesen.«
    Ytterberg überlegte eine Weile. »Es ist wirklich seltsam, dass Louise seit seinem Verschwinden kein einziges Mal bei ihr gewesen ist. Wie erklärst du dir das?«
    »Ich kann es nicht erklären. Aber ich frage mich genau wie du. Vielleicht sollten wir zusammen zu ihr fahren.«
    »Fahr du allein. Ich lasse jemanden anrufen und Bescheid geben, dass du berechtigt bist, sie zu treffen.«
    Wallander trat an die Kaimauer und sah übers Wasser, während Ytterberg telefonierte. Die Sonne stand hoch am klarblauen Himmel. Jetzt ist richtig Sommer, dachte er.
    Nach einer Weile kam Ytterberg und stellte sich neben ihn. »Es geht in Ordnung«, sagte er. »Aber du musst eins wissen. Die Frau, mit der ich telefoniert habe, sagte, dass Signe von Enke nicht spricht. Nicht weil sie nicht will, sondern weil sie nicht kann. Ich weiß nicht, ob ich es ganz begriffen habe. Aber sie scheint ohne Stimmbänder geboren zu sein. Unter anderem.«
    Wallander sah ihn an. »Unter anderem?«
    »Sie ist stark behindert. Ihr fehlt so einiges. Ich bin wirklich froh, dass ich nicht dorthin fahre. Besonders heute.«
    »Warum besonders heute?«
    »Schönes Wetter«, sagte Ytterberg. »Einer der ersten Sommertage in diesem Jahr. Da möchte ich ungern aus dem Gleichgewicht geraten.«
    »Hatte sie einen Akzent?«, fragte Wallander, als sie weitergingen. »Die Frau im Niklasgård?«
    »Hatte sie. Und eine sehr schöne Stimme. Ihr Name war Fatima, wenn ich sie richtig verstanden habe. Ich tippe, dass sie aus dem Irak oder dem Iran stammt.«
    Wallander versprach, sich noch am selben Tag zu melden. Er hatte den Wagen vor dem Haupteingang des Stadshus abgestellt und kam gerade noch rechtzeitig, bevor ein eifriger Parkwächter auf den Plan trat. Er verließ die Stadt und hielt eine gute Stunde später vor dem Eingang des Niklasgård. Als er die Anmeldung betrat, stand dort ein älterer Mann, der sich als Artur Källberg vorstellte. Er hatte die Nachmittagsschicht bis Mitternacht.
    »Fangen wir von vorn an«, sagte Wallander. »Erzählen Sie mir von Signes Krankheit.«
    »Sie ist eine der am schwersten Behinderten«, sagte Källberg. »Bei ihrer Geburt glaubte niemand, dass sie lange überleben würde. Aber manche Menschen haben einen Lebenswillen, den keiner von uns gewöhnlichen Sterblichen begreifen kann.«
    »Bitte genauer«, sagte Wallander. »Was fehlt ihr?«
    Artur Källberg zögerte, als versuchte er einzuschätzen, ob Wallander es ertragen könnte, alle Fakten zu hören. Vielleicht fragte er sich auch, ob er es verdiente, die Wahrheit zu erfahren.
    Wallander wurde ungeduldig. »Ich höre«, sagte er. »Machen Sie weiter!«
    »Ihr fehlen beide Arme. Außerdem hat sie einen Defekt am Kehlkopf, so dass sie nicht sprechen kann, und einen angeborenenHirnschaden. Dazu kommt eine Missbildung des Rückgrats. Das bedeutet, dass sie nur in äußerst engen Grenzen bewegungsfähig ist.«
    »Was heißt das?«
    »Sie verfügt über eine gewisse Beweglichkeit in Hals und Kopf. Sie kann zum Beispiel zwinkern.«
    Wallander versuchte, sich die entsetzliche Situation vorzustellen, dass Klara von diesem Elend betroffen wäre, dass Linda ein Kind mit schweren Funktionsstörungen zur Welt gebracht hätte. Wie hätte er reagiert? Konnte er sich in die Situation von Håkan und Louise versetzen und verstehen, was es für sie bedeutet hatte?
    Wallander kam natürlich zu keiner Klarheit. »Wie lange ist sie schon hier?«, fragte er.
    »Ihre ersten Lebensjahre verbrachte sie in einem Heim für schwer funktionsgestörte Kinder«, sagte Källberg. »Es lag auf Lidingö, wurde aber 1972 geschlossen.«
    Wallander hob die Hand. »Lassen Sie uns genau sein«, sagte er. »Gehen Sie davon aus, dass ich von diesem Mädchen nicht mehr als den Namen weiß.«
    »Dann sollten wir vielleicht damit anfangen, dass wir sie nicht mehr

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