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Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Wallander 09 - Der Feind im Schatten

Titel: Wallander 09 - Der Feind im Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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›Mädchen‹ nennen. Sie wird einundvierzig Jahre alt. Raten Sie mal, wann?«
    »Wie soll ich das wissen?«
    »Sie hat heute Geburtstag. Normalerweise wäre ihr Vater hergekommen und hätte den ganzen Nachmittag hier verbracht. Jetzt kommt niemand.«
    Källberg schien entrüstet zu sein bei dem Gedanken, dass Signe von Enke ihren Geburtstag ohne Besuch durchleiden musste. Wallander verstand ihn.
    Eine Frage war natürlich wichtiger als alle anderen. Aber er beschloss, sie zurückzustellen und der Reihe nach vorzugehen.
    Er zog seinen zerfledderten Notizblock aus der Tasche. »Sie ist also am achten Juni 1967 geboren?«
    »Richtig.«
    »Lebte sie je zu Hause bei ihren Eltern?«
    »Sie wurde, den mir bekannten Unterlagen zufolge, direkt vom Krankenhaus ins Nyhagaheim nach Lidingö gebracht. Als es ausgebaut werden sollte, fürchteten die Anwohner um den Wert ihrer Grundstücke. Wie sie es anstellten, das Projekt zu stoppen, weiß ich nicht. Aber sie schafften es nicht nur, den Ausbau zu verhindern, sondern das Heim ganz schließen zu lassen.«
    »Wohin wurde Signe dann verlegt?«
    »Sie geriet in eine Art Pflegekarussell. Unter anderem war sie ein Jahr auf Gotland, in der Nähe von Hemse. Aber vor neunundzwanzig Jahren kam sie hierher. Und hier ist sie geblieben.«
    Wallander machte sich Notizen. Das Bild von Klara ohne Arme tauchte mit makabrer Hartnäckigkeit mehrfach in seinem Kopf auf.
    »Sagen Sie mir etwas über ihren Zustand«, bat Wallander. »An und für sich haben Sie das schon getan. Ich denke jetzt an ihr Bewusstsein. Was versteht sie? Was fühlt sie?«
    »Das wissen wir nicht. Sie lässt nur grundlegende Reaktionen erkennen, und zwar mit einer Art Körpersprache und einer gewissen Mimik, die für Außenstehende schwer zu deuten sein kann. Wir betrachten sie am ehesten als einen Säugling, aber einen Säugling mit langer Lebenserfahrung.«
    »Kann man sich vorstellen, was sie denkt?«
    »Nein. Aber es spricht eigentlich nichts dafür, dass ihr das Ausmaß ihres Leidens bewusst ist. Sie hat nie Schmerz oder Verzweiflung zum Ausdruck gebracht. Und wenn das zutrifft, so ist es natürlich eine Gnade.«
    Wallander nickte. Er glaubte zu verstehen. Er war bei seiner wichtigsten Frage angelangt. »Ihr Vater hat sie besucht«, sagte er. »Wie oft?«
    »Mindestens einmal im Monat, manchmal öfter. Es warenauch keine kurzen Besuche. Er blieb immer mindestens zwei Stunden.«
    »Was tat er? Wenn sie nicht sprechen konnten?«
    » Sie kann nicht sprechen. Er saß bei ihr und erzählte. Es war rührend. Er erzählte von allem, was passiert war, vom Alltag, vom Leben in der kleinen und der großen Welt. Er sprach mit ihr wie mit einem erwachsenen Menschen, ohne müde zu werden.«
    »Was geschah, wenn er auf See war? Er war ja viele Jahre lang Kommandant auf U-Booten und anderen Kriegsschiffen.«
    »Er hat immer Bescheid gesagt, dass er fort sein würde. Es war ergreifend, wenn er es ihr erklärte.«
    »Und wer kam dann und besuchte Signe? Ihre Mutter?«
    Källbergs Antwort war klar und kalt und kam ohne Zögern. »Sie war nie hier. Ich arbeite seit 1994 hier im Niklasgård. Sie hat ihre Tochter nie besucht. Der Einzige, der sie besuchte, war ihr Vater.«
    »Sie wollen sagen, dass Louise von Enke nie hier war und ihre Tochter gesehen hat?«
    »Nie.«
    »Muss man das nicht bemerkenswert finden?«
    »Nicht unbedingt. Manche sind ganz einfach nicht in der Lage, leidende Menschen zu ertragen.«
    Wallander steckte den Notizblock ein. Er fragte sich, ob er entziffern könnte, was er geschrieben hatte. »Ich möchte sie gern sehen«, sagte er. »Unter der Voraussetzung, dass es sie nicht beunruhigt.«
    »Ich vergaß wohl zu sagen, dass sie auch sehr schlecht sieht«, sagte Källberg. »Sie nimmt Menschen nur als verschwommene Figuren vor einem grauen Hintergrund wahr. Das glauben die Ärzte jedenfalls.«
    »Sie hat ihren Vater also an der Stimme erkannt?«
    »Ja, vermutlich. Ihre Körpersprache ließ darauf schließen.«
    Wallander war aufgestanden. Aber Källberg blieb sitzen. »Sind Sie ganz sicher, dass Sie sie sehen wollen?«
    »Ja«, sagte Wallander. »Das bin ich.«
    Es war natürlich nicht die Wahrheit. Eigentlich wollte er nur ihr Zimmer sehen.
    Sie gingen durch die Glastüren, die sich lautlos hinter ihnen schlossen. Källberg schob die Tür eines Zimmers am Ende eines Korridors auf. Es war hell, auf dem Fußboden lag ein Bastteppich. Ein paar Stühle, ein Bücherregal und ein Bett, in dem Signe von Enke zusammengerollt

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