Wallander 09 - Der Feind im Schatten
Aber er hatte keine Fragen mehr und dankte Rebecka für ihre Hilfe. Durchs Fenster sah er das gelbe Postauto auf dem Weg davonfahren. In Morgenmantel und Holzschuhen ging er zum Briefkasten. Ein einsamer Brief lag darin, abgestempelt in Ystad. Der Absender war ein Robert Åkerblom. Wallander meinte sich vage an den Namen zu erinnern, nicht jedoch an den Zusammenhang, in dem er ihm begegnet war. Er setzte sich an den Küchentisch und riss den Umschlag auf. Darin lag ein Foto, das einen Mann und zwei junge Frauen zeigte. Als Wallander denMann sah, wusste er sofort, wer er war. Eine über fünfzehn Jahre alte schmerzliche Erinnerung tauchte in seinem Inneren auf. Anfang der 1990er Jahre war Robert Åkerbloms Frau brutal ermordet worden, ein Fall, der merkwürdige Verzweigungen nach Südafrika und zu einem Mordversuch an Nelson Mandela gehabt hatte. Er wendete das Foto und las: »Eine Erinnerung an unsere Existenz und ein Dank für alles, was Sie uns in der schwersten Zeit unseres Lebens gegeben haben.«
Genau das, was ich brauchte, dachte Wallander. Eine Erinnerung daran, dass unsere Arbeit trotz allem für viele Menschen von entscheidender Bedeutung ist. Er heftete das Foto an die Wand.
Am nächsten Tag war Mittsommerabend. Obwohl es ihm noch nicht richtig gut ging, beschloss er, zum Einkaufen zu fahren. Es war ihm zuwider, sich in Geschäften zu drängeln, im Grunde kaufte er überhaupt nicht gern ein, aber jetzt hatte er sich vorgenommen, dass es auf seiner Mittsommertafel an nichts fehlen sollte. Mit Getränken hatte er sich zum Glück schon vorher eingedeckt. Nachdem er eine Einkaufsliste gemacht hatte, fuhr er los.
Am folgenden Tag war sein Hals besser, und das Fieber war weg. In der Nacht hatte es geregnet, aber jetzt war es klar geworden. Wallander blickte zum Horizont und dachte, dass sie draußen sitzen könnten.
Als Linda und ihre Familie um fünf Uhr eintrafen, war alles fertig. Sie bewunderte seine Vorbereitungen und zog ihn dann zur Seite. »Es kommt noch eine Person.«
»Wer?«
»Mama.«
»Das will ich nicht. Warum? Du weißt, wie es zuletzt geendet hat.«
»Und ich will nicht, dass sie an einem Abend wie diesem allein zu Hause sitzen muss.«
»Dann musst du sie mit zu dir nehmen.«
»Mach dir keine Sorgen. Stell dir vor, dass du eine gute Tat vollbringst, wenn du sie dabei sein lässt.«
»Wann kommt sie?«
»Ich habe halb sechs gesagt. Sie ist bald hier.«
»Du übernimmst die Verantwortung dafür, dass sie sich nicht betrinkt.«
»Das tu ich. Und vergiss nicht, dass Hans sie mag. Außerdem hat sie auch ein Anrecht darauf, ihr Enkelkind zu sehen.«
Wallander sagte nichts mehr. Aber als er einen Moment allein in der Küche war, kippte er einen Schnaps hinunter, um sich zu beruhigen.
Mona kam, und zunächst ging alles gut. Sie hatte sich herausgeputzt und war guter Stimmung. Sie aßen, tranken in Maßen, genossen das Wetter. Wallander sah, wie Mona sich mit der größten Selbstverständlichkeit ihres Enkelkinds annahm. Es war, als sähe er sie wieder mit Linda. Doch der Frieden währte nicht den ganzen Abend. Gegen elf Uhr begann Mona, von den Kränkungen vergangener Tage zu reden. Linda versuchte, sie zu beschwichtigen, aber offenbar hatte Mona mehr getrunken, als ihnen allen klar war, vielleicht hatte sie eine kleine Flasche in ihrer Handtasche versteckt. Wallander hörte sich zunächst an, was sie zu sagen hatte, doch schließlich hielt er es nicht mehr aus. Er schlug mit der Faust auf den Tisch und forderte sie auf, zu verschwinden. Linda, auch nicht mehr ganz nüchtern, schrie ihn an, er solle sich beruhigen, so schlimm sei es nun auch nicht. Aber für Wallander war es so schlimm. Als er nach all den Jahren endlich hatte sagen können, dass sie ihm nicht mehr fehlte, verwandelte sich das Gefühl in eine Anklage. Es war doch Monas Schuld, dass er keine andere Frau für ein gemeinsames Leben gefunden hatte. Er stand vom Tisch auf, holte Jussi und verließ den Hof.
Als er eine halbe Stunde später zurückkam, herrschteAufbruchsstimmung. Mona saß schon im Wagen. Hans, der nur ein Glas Wein getrunken hatte, sollte fahren.
»Schade, dass es so gekommen ist«, sagte Linda. »Es war ein schöner Abend. Aber mir ist jetzt klar, dass Monas Trinken immer zu so etwas führen wird.«
»Ich hatte also recht?«
»Wenn du so willst. Sie hätte vielleicht nicht kommen sollen. Aber jetzt wissen wir, dass man sich um sie kümmern muss. Komisch, es ist mir nicht früher klargeworden, dass ich
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