Wallander 09 - Der Feind im Schatten
Papierkorb und blickte um sich. Kein Wagen. Langsam machte er sich auf den Weg zum Präsidium. Ungefähr auf halbem Wegkehrte die Erinnerung zurück. Der kalte Schweiß brach ihm aus, und sein Herz raste. Er musste endlich mit seinem Arzt sprechen. Es war das dritte Mal in kurzer Zeit, dass ihm das passierte, und er wollte wissen, was sich da in seinem Kopf veränderte.
Als er ins Präsidium zurückkam, rief er die Ärztin an, die er schon einmal besucht hatte. Er erhielt einen Termin einige Tage nach Mittsommer. Als er aufgelegt hatte, vergewisserte er sich, dass seine Pistole wie vorgeschrieben eingeschlossen war.
In den nächsten Stunden bereitete er sich für den Auftritt bei Gericht vor. Um sechs Uhr schlug er endlich die letzte Mappe zu und warf sie auf seinen Besucherstuhl. Er stand schon mit der Jacke in der Hand da, als ihm ein Gedanke durch den Kopf schoss. Woher er kam, vermochte er nicht zu sagen. Warum hatte von Enke das geheime Tagebuch bei seinem letzten Besuch bei Signe nicht mitgenommen? Wallander konnte nur zwei Erklärungen sehen. Entweder hatte er vor, zurückzukommen, oder es war ihm etwas zugestoßen, was es ihm unmöglich machte, zurückzukehren.
Er setzte sich wieder an den Schreibtisch und suchte die Nummer vom Niklasgård heraus. Die Frau mit der schönen, fremdartigen Stimme meldete sich.
»Ich wollte mich nur erkundigen, ob mit Signe alles in Ordnung ist«, sagte er.
»Sie lebt in einer Welt, in der sich sehr wenig verändert. Abgesehen von der unsichtbaren Bewegung, der wir alle unterworfen sind, dem Altern.«
»Ihr Vater hat sie natürlich nicht besucht?«
»War er nicht verschwunden? Ist er wieder aufgetaucht?«
»Nein. Es war nur so eine Frage.«
»Dagegen war ihr Onkel gestern hier und hat sie besucht. Ich hatte frei, aber ich habe es in unserem Besucherjournal gelesen.«
Wallander hielt den Atem an. »Ein Onkel?«
»Er hat sich hier als Gustaf von Enke eingetragen. Er kam am Nachmittag und war ungefähr eine Stunde da.«
»Sind Sie ganz sicher, dass es stimmt, was Sie da sagen?«
»Warum sollte ich es erfinden?«
»Nein, warum sollten Sie. Wenn dieser Onkel wiederkommt und Signe besucht, könnten Sie mich dann anrufen?«
Sie hörte sich plötzlich beunruhigt an. »Stimmt etwas nicht?«
»Doch doch. Vielen Dank für Ihre Hilfe.«
Wallander legte den Hörer auf und blieb sitzen. Er irrte sich nicht, er war sicher. Er hatte sich so gründlich mit der Familie von Enke beschäftigt, dass er überzeugt war: Es gab keinen Onkel.
Wer auch immer der Mann gewesen war, der Signe besucht hatte, er hatte sich unter einem falschen Namen und unter Angabe eines nicht bestehenden Verwandtschaftsverhältnisses eingetragen.
Wallander fuhr nach Hause. Die Befürchtungen, die ihm schon lange zu schaffen machten, waren jetzt verstärkt zurückgekehrt.
18
Am nächsten Morgen hatte Wallander Fieber und einen wunden Hals. Er redete sich ein, es sei Einbildung, griff aber dann doch zum Thermometer und hatte eine Temperatur von 38,9. Er rief in der Stadt an und meldete sich krank. Den größten Teil des Tages verbrachte er im Bett und in der Küche, umgeben von den Bibliotheksbüchern, die er noch nicht durchgesehen hatte.
In der Nacht hatte er von Signe geträumt. Er war im Niklasgård zu Besuch gewesen. Plötzlich hatte er entdeckt, dass es jemand anderes war, der zusammengekauert im Bett lag. Es war dunkel gewesen im Zimmer, er hatte versucht, Licht zu machen, aber es hatte nicht funktioniert. Da hatte er das Handy aus der Tasche gezogen und als Taschenlampe benutzt. In dem schwachen Lichtschein hatte er gesehen, dass es Louise war, die dort lag. Sie war eine exakte Kopie ihrer Tochter. Er war von einer Angst gepackt worden, die er nicht kontrollieren konnte. Als er den Raum verlassen wollte, war die Tür verschlossen.
Da war er wach geworden. Es war vier Uhr, schon heller Sommermorgen. Er hatte den Schmerz im Hals gespürt, er fühlte sich heiß und bemühte sich, schnell wieder einzuschlafen. Am Morgen versuchte er, den Traum zu deuten, kam aber zu keinem Ergebnis. Nur dass im Fall des Verschwindens von Louise und Håkan von Enke jedes Detail ein anderes zu verdecken schien.
Wallander stand auf, band sich ein Halstuch um, schaltete seinen Computer ein und suchte im Internet nachGustaf von Enke. Es gab niemanden unter diesem Namen. Als es acht geworden war, rief er Ytterberg an, der seinen letzten Arbeitstag vor dem Beginn des Urlaubs hatte. Er war auf dem Weg zu einem
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