Wallander 09 - Der Feind im Schatten
äußerst unangenehmen Verhör mit einem Mann, der versucht hatte, seine Frau und seine beiden Kinder zu erdrosseln, vermutlich weil er eine andere Frau gefunden hatte, mit der er leben wollte. »Aber muss man deswegen die Kinder umbringen«, fügte er in fragendem Ton hinzu. »Es ist wie in einer griechischen Tragödie.«
Wallander wusste nicht viel über die Theaterstücke, die vor mehr als zweitausend Jahren entstanden waren. Einmal hatte Linda ihn jedoch in eine Aufführung von Medea nach Malmö mitgeschleppt. Er war ergriffen gewesen, aber nicht so, dass er von da an regelmäßig ins Theater gegangen wäre. Sein letzter Theaterbesuch hatte seinem Interesse auch nicht gerade neue Impulse gegeben.
Er erzählte von seinem Gespräch mit dem Niklasgård am Vortag.
»Bist du ganz sicher?«
»Ja«, sagte Wallander. »Es existiert kein Onkel. Es existiert ein Cousin in England, aber sonst niemand.«
»Das klingt zweifellos sonderbar.«
»Ich weiß, dass du jetzt Urlaub machen willst. Vielleicht kannst du jemanden zum Niklasgård schicken, um eine Personenbeschreibung zu besorgen?«
»Ich habe eine gute Kollegin namens Rebecka Andersson«, sagte Ytterberg. »Sie ist phänomenal in solchen Dingen, obwohl sie noch ziemlich jung ist. Ich rede mit ihr.«
Sie glichen die Telefonnummern ab, und Wallander wollte schon auflegen, als Ytterberg ihn noch zurückhielt. »Geht es dir auch so wie mir?«, fragte er. »Dass du manchmal eine fast verzweifelte Sehnsucht verspürst, von all dem Schlamassel befreit zu sein, der einem bis zum Hals steht?«
»Das kommt vor.«
»Wieso hält man das aus?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht eine Art Verantwortungsgefühl. Ich hatte einen Mentor, einen erfahrenen Ermittler namens Rydberg. Er hat das immer gesagt. Es sei eine Frage der Verantwortung, nichts anderes.«
Nach einer halben Stunde rief Rebecka Andersson an. Sie wiederholte die Information, die sie von Ytterberg erhalten hatte, und wollte noch am Vormittag zum Niklasgård hinausfahren.
Wallander machte Frühstück und ging dann ins Bad. Als er die Toilettenspülung betätigte, lief die Kloschüssel über. Er versuchte, den Abfluss mit einem Gummisauger frei zu machen, doch ohne Erfolg. Wütend trat er gegen das Klo und rief Jarmo an. Jarmo war betrunken, wollte aber kommen. Wallander lehnte ab und verbrachte fast zwei Stunden damit, einen anderen Klempner zu finden, der vorbeikommen und das verstopfte Klo frei machen konnte. Es war schon fast zwölf Uhr, als ein Werkstattwagen auf seinen Hof fuhr und ein fröhlicher polnischer Klempner ausstieg, der ein nahezu unverständliches Schwedisch sprach. Wallander erinnerte sich an die Debatte in den Zeitungen vor einigen Jahren, über polnische Handwerker, die Europa wie ein Heuschreckenschwarm zu überfallen schienen. Aber der Klempner benötigte nicht mehr als zwanzig Minuten, um das Problem zu beheben, und verlangte bedeutend weniger als Jarmo.
Wallander kehrte zu seinen Büchern zurück.
Gegen zwei Uhr rief Rebecka Andersson an, die noch im Niklasgård war. »Ich habe es so verstanden, dass du die Information so schnell wie möglich haben wolltest«, sagte sie. »Ich sitze auf einer Bank draußen im Garten. Es ist wunderbares Wetter. Hast du etwas zum Schreiben?«
»Ich bin bereit.«
»Ein Mann von ungefähr fünfzig, korrekt gekleidet mit Anzug und Schlips, sehr freundlich, helles krauses Haar,blaue Augen. Er sprach das, was man Reichsschwedisch nennt, also keinen besonderen Dialekt, und er hatte auch keinen ausländischen Akzent. Eins war sofort klar. Er war noch nie dort gewesen. Sie mussten ihm zeigen, wo ihr Zimmer lag. Aber darüber scheint sich niemand Gedanken gemacht zu haben.«
»Was hat er gesagt?«
»Eigentlich nichts. Er war nur sehr freundlich.«
»Und das Zimmer?«
»Ich habe zwei Angestellte gebeten, unabhängig voneinander, nachzusehen, ob sie im Zimmer irgendeine Veränderung entdecken konnten. Aber das war nicht der Fall. Ich hatte den Eindruck, dass sie ihrer Sache sehr sicher waren.«
»Und er ist zwei Stunden geblieben?«
»Das stimmt vielleicht nicht ganz. Die Angaben variierten. Sie nehmen es anscheinend nicht so genau mit den Eintragungen von Besuch und Zeiten in ihr Journal. Ich glaube, er war mindestens eine und höchstens anderthalb Stunden da.«
»Was geschah dann?«
»Er ging wieder.«
»Wie war er gekommen?«
»Mit dem Wagen. Davon gehe ich aus. Aber niemand hat ein Auto gesehen. Plötzlich war er einfach weg.«
Wallander überlegte.
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