Wallander 10 - Wallanders erster Fall
vor der Küste war dicht, lichtete sich aber zum Festland hin. Die Konturen einer Strandlinie und die ersten Häuser kamen rasend schnell auf den Piloten zu. Aber er kannte diese Strecke so gut, daß er nach Uhr und Kompaß flog.
Sobald er über dem schwedischen Festland war und Mossby Strand und die Lichter an der Straße nach Trelleborg identifiziert hatte, machte er einen Schwenker nach Nordosten und dann noch einen nach Osten. Das Flugzeug, eine Piper Cherokee, gehorchte willig. Er folgte einer bis ins Detail berechneten Route, einer Linie, die sich wie eine unsichtbare Markscheide über ein wenig besiedeltes Gebiet von Schonen hinzog. Es war der 11. Dezember 1989, kurz vor fünf Uhr am Morgen. Um ihn herum herrschte fast undurchdringliche Dunkelheit. Jedesmal, wenn er nachts flog, dachte er an seine ersten Jahre als Pilot, in denen er als Navigator bei einer griechischen Gesellschaft beschäftigt war, die nachts heimlich Tabak aus dem damaligen Süd-Rhodesien ausflog, das von politischen Sanktionen betroffen war. Das war 1966 und 1967 gewesen. Damals hatte er gelernt, daß ein guter Pilot auch nachts fliegen kann, mit einem Minimum an Hilfsmitteln, bei totaler Funkstille.
Die Maschine flog jetzt so tief, daß der Pilot nicht wagte, sie noch weiter nach unten zu drücken. Er fragte sich, ob er eventuell umkehren müßte, ohne seinen Auftrag erledigt zu haben. Das kam vor. Die Sicherheit stand immer an erster Stelle, und die Sicht war nach wie vor schlecht. Aber plötzlich, kurz bevor er eine Entscheidung treffen mußte, lichtete sich der Nebel. Er sah auf die Uhr. In zwei Minuten würde er die Lichter sehen, die die Stelle markierten, an der er seine Fracht abwerfen sollte.
|270| Er drehte sich um und rief dem Mann auf dem einzigen nicht herausmontierten Sitz in der Kabine zu: »Zwei Minuten.«
Der Mann im Dunkeln hinter ihm leuchtete sich mit einer Taschenlampe ins Gesicht und nickte.
Der Pilot spähte in die Dunkelheit. Eine Minute noch, dachte er. Und in dem Moment entdeckte er die Scheinwerfer, die ein Viereck von zweihundert Metern Seitenlänge bildeten. Er rief dem Mann hinter sich zu, er solle sich bereitmachen. Dann legte er die Maschine in eine Linkskurve und näherte sich dem erleuchteten Viereck von Westen. Er spürte den kalten Luftzug und das leichte Zittern des Flugzeugrumpfs, als der Mann in der Dunkelheit hinter ihm die Kabinentür öffnete. Danach legte er die Hand an den Schalter der Signallampe, die den hinteren Teil der Kabine rot erleuchtete. Er hatte die Geschwindigkeit auf ein Minimum gedrosselt. Dann drückte er auf Grün und wußte, daß der Mann hinter ihm den gummiverkleideten Tank hinausschubste. Der kalte Luftzug verschwand, als die Tür geschlossen wurde. Er lächelte vor sich hin. Der Tank war jetzt gelandet, irgendwo zwischen den Scheinwerfern. Dort gab es jemanden, der ihn abholte. Man würde die Scheinwerfer ausschalten und in einem Wagen verstauen, und dann wäre die Dunkelheit wieder so undurchdringlich wie vorher. Eine perfekte Operation, dachte er. Seine neunzehnte.
Er sah auf die Uhr. In neun Minuten würden sie die Küste überfliegen und den schwedischen Luftraum wieder verlassen. Nach weiteren zehn Minuten würde er einige hundert Meter steigen. Neben seinem Sitz stand eine Thermoskanne mit Kaffee. Er würde ihn trinken, während sie über das Meer flogen. Um acht Uhr würde er die Maschine auf seiner privaten Landebahn in der Nähe von Kiel aufsetzen und schon kurz danach in seinem Auto auf dem Weg nach Hamburg sein, wo er wohnte.
Das Flugzeug schwankte. Dann gleich noch einmal. Der Pilot sah auf die Instrumententafel. Alles wirkte normal. Der Gegenwind war nicht besonders stark, und Turbulenzen gab es auch nicht. Da schwankte das Flugzeug wieder, dieses Mal heftiger. Der Pilot arbeitete mit dem Knüppel. Aber die Maschine hatte sich auf die linke Seite gelegt. Er versuchte vergeblich, das zu korrigieren. Noch immer zeigten die Instrumente normale Werte an. Als erfahrener |271| Pilot wußte er jedoch, daß irgend etwas nicht stimmte. Die Maschine ließ sich nicht aufrichten. Obwohl er die Geschwindigkeit steigerte, hatte sie schon an Höhe verloren. Er versuchte, vollkommen ruhig zu denken. Was konnte passiert sein? Er überprüfte die Maschine immer vor dem Abflug. Als er gegen ein Uhr in der Nacht zur Flugzeughalle gekommen war, hatte er mehr als eine halbe Stunde darauf verwendet, die Maschine zu überprüfen, alle Listen durchzugehen, die der Mechaniker ihm
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