Wallander 10 - Wallanders erster Fall
gegeben hatte, und er hatte alle Vorschriften auf der Checkliste befolgt, bevor er gestartet war.
Er konnte die Maschine nicht aufrichten. Die Schieflage nahm zu. Jetzt wußte er, daß es ernst war. Er erhöhte die Geschwindigkeit noch mehr und arbeitete mit dem Steuerknüppel. Der Mann hinter ihm rief, was los sei. Der Pilot antwortete nicht. Er hatte keine Antwort. Wenn es ihm nicht gelänge, die Maschine wieder aufzurichten, würden sie in wenigen Minuten abstürzen. Kurz bevor sie das Meer erreichten. Er arbeitete jetzt mit heftig hämmerndem Herzen. Aber nichts half. Dann kam ein kurzer Augenblick der Wut und der Ohnmacht. Schließlich fuhr er fort, mit Händen und Füßen zu kämpfen, bis alles vorbei war.
Um neunzehn Minuten nach fünf am Morgen des 11. Dezember schlug das Flugzeug mit ungeheurer Wucht auf dem Boden auf und fing sofort Feuer. Aber die beiden Männer an Bord merkten nicht, wie ihre Körper zu brennen begannen. Sie waren schon beim Aufprall der Maschine auf den Boden in Stücke gerissen worden.
Der Nebel wallte inzwischen wieder vom Meer herein. Es war vier Grad über Null und fast windstill.
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Am Morgen des 11. Dezember wachte Wallander kurz nach sechs Uhr auf. Als er die Augen aufschlug, fing der Wecker auf seinem Nachttisch an zu klingeln. Er schaltete ihn aus und blieb liegen und sah in die Dunkelheit. Streckte Beine und Arme, spreizte Zehen und Finger. Es war ihm zur Gewohnheit geworden, nachzuspüren, ob die Nacht ihm wieder Krämpfe beschert hatte. Er schluckte, um zu prüfen, ob sich eine Infektion in seine Luftröhre eingeschlichen hatte. Manchmal dachte er, daß er langsam, aber sicher zum Hypochonder wurde. Aber auch an diesem Morgen schien alles seine Ordnung zu haben. Außerdem fühlte er sich ausnahmsweise ausgeschlafen. Am Abend vorher war er schon um neun Uhr ins Bett gegangen und sofort eingeschlafen. Wenn er erst einschlief, dann schlief er auch. Wenn er aber noch länger wach lag, konnte es Stunden dauern, bis er endlich zur Ruhe kam.
Er stand auf und ging in die Küche. Das Thermometer vor dem Fenster zeigte sechs Grad über Null. Da er wußte, daß es nicht richtig anzeigte, zog er zwei Grad ab und wußte, daß dieser Tag der Welt mit vier Grad über Null begegnete. Wallander blickte zum Himmel. Nebelschwaden zogen über die Dächer. Noch war in diesem Winter in Schonen kein Schnee gefallen. Aber er wird kommen, dachte er. Früher oder später kommen die Schneekatastrophen.
Er kochte Kaffee und strich ein paar Brote. Wie gewöhnlich war sein Kühlschrank fast leer. Bevor er am Vorabend ins Bett gegangen war, hatte er eine Einkaufsliste geschrieben, die auf dem Küchentisch lag. Während der Kaffee durchlief, ging er auf die Toilette. Als er wieder in die Küche kam, schrieb er auf, daß er auch Toilettenpapier kaufen mußte. Und eine neue Toilettenbürste. Er frühstückte und blätterte dabei
Ystads Allehanda
durch, die er aus dem Flur geholt hatte. Er hielt erst inne, als er bei den letzten Seiten |273| mit den Annoncen angelangt war. Irgendwo in seinem Hinterkopf existierte die vage Sehnsucht nach einem Haus auf dem Lande. Wo er morgens gleich nach draußen gehen und ins Gras pinkeln konnte, wo er einen Hund hätte und vielleicht sogar, auch wenn dieser Traum der entfernteste war, einen Taubenschlag. Es waren einige Häuser zu verkaufen. Aber keines erschien ihm interessant. Dann entdeckte er, daß in Rydsgård Labradorwelpen zu verkaufen waren. Ich darf nicht am falschen Ende anfangen, dachte er. Erst ein Haus, dann einen Hund. Nicht umgekehrt. Dann gibt es bei meinen eigenartigen Arbeitszeiten nur Probleme, solange ich nicht mit jemandem zusammenlebe, der mitmacht, ihn auszuführen. Es war jetzt zwei Monate her, daß Mona ihn endgültig verlassen hatte. Im Innersten weigerte er sich immer noch, zu akzeptieren, was geschehen war. Gleichzeitig wußte er nicht, was er tun sollte, um sie zur Rückkehr zu bewegen.
Um sieben Uhr war er startklar. Er nahm den Pullover, den er immer anzog, wenn es zwischen null und acht Grad plus waren. Er hatte Pullover für jede Temperatur und war genau mit seiner Auswahl, denn er haßte es, im feuchten schonischen Winter zu frieren, und ärgerte sich sofort, wenn er zu schwitzen begann. Er glaubte, daß es seine Fähigkeit beeinträchtigte, klar zu denken. Er beschloß, zu Fuß zum Polizeipräsidium zu gehen. Er brauchte Bewegung. Als er nach draußen kam, spürte er einen schwachen Wind, der vom Meer hereinwehte. Zu Fuß
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