Wallander 10 - Wallanders erster Fall
herausfinden, ob Wislanders Privatadresse eine Villa oder eine Wohnung war. Nyberg verschwand. Jemand hatte Pizza bestellt. Während sie aßen, versuchte Wallander ein Bild zu zeichnen, in dem Anders Wislander der Täter war.
Es gab viele Einwände. Die angebliche Liebesgeschichte zwischen Simon Lamberg und Louise Wislander lag sieben Jahre zurück. Warum sollte Anders Wislander erst jetzt reagieren? Gab es überhaupt etwas, was dafür sprach, daß er der Mörder sein konnte? Wallander sagte sich, daß alle diese Einwände durchaus berechtigt waren. Er schwankte selbst, ohne von seiner Überzeugung abzurücken, daß sie trotz allem der Lösung nahe waren.
»Das einzige, was wir tun müssen, ist, mit Wislander zu sprechen«, sagte er. »Und das tun wir morgen. Dann sehen wir weiter.«
Nyberg kam zurück. Er konnte mitteilen, daß Wislander in einem Einfamilienhaus wohnte, das der schwedischen Kirche gehörte. Weil er krank geschrieben war, nahm Wallander an, daß sie ihn dort antreffen würden. Bevor sie auseinandergingen, beschloß er, am nächsten Tag Martinsson mitzunehmen. Es genügte, wenn sie zu zweit waren.
Gegen Mitternacht fuhr er durch die Frühlingsnacht nach Hause. Er nahm den Weg am Sankta Gertruds Torg vorbei. Alles war sehr still. Ein Gefühl von Trauer und Müdigkeit durchzog ihn. Die Welt schien für einen Augenblick nur aus Krankheit und Tod zu bestehen. Und aus der Leere, die Mona zurückgelassen hatte. Doch dann sagte er sich, daß der Frühling gekommen war, und schüttelte die Schwermut ab. Morgen würden sie Wislander treffen. Dann würde es sich zeigen, ob sie der Lösung näher gekommen waren.
Er saß noch lange wach. Dachte, daß er am liebsten Linda und Mona anrufen würde. Gegen ein Uhr kochte er ein paar Eier, die er an der Spüle stehend aß. Bevor er ins Bett ging, betrachtete er sein |261| Gesicht im Badezimmerspiegel. Seine Backe war immer noch verfärbt. Und er mußte sich die Haare schneiden lassen.
In dieser Nacht schlief er unruhig.
Er stand schon um fünf Uhr auf. Während er auf Martinsson wartete, sortierte er den Berg schmutziger Wäsche und saugte Staub. Er trank mehrere Tassen Kaffee, trat immer wieder ans Küchenfenster und durchdachte aufs neue alle Umstände, die zu Simon Lambergs Tod geführt hatten.
Um acht Uhr ging er auf die Straße hinunter und wartete. Es würde wieder ein schöner Frühlingstag werden.
Martinsson war wie üblich pünktlich. Wallander setzte sich ins Auto. Sie fuhren nach Lund.
»Ich habe ausnahmsweise schlecht geschlafen«, sagte Martinsson. »Das tue ich sonst nie. Aber mir war gestern abend, als hätte ich Vorahnungen.«
»Vorahnungen in bezug worauf?«
»Ich weiß es nicht genau.«
»Es waren sicher nur Frühlingsgefühle.«
Martinsson warf ihm einen Blick zu. »Was für Frühlingsgefühle?«
Wallander antwortete nicht. Er murmelte nur kaum hörbar etwas vor sich hin.
Sie erreichten Lund um kurz vor halb neun. Martinsson war wie gewöhnlich ruckhaft und unkonzentriert gefahren, aber er hatte offenbar die Wegbeschreibung im Kopf gehabt. Er fand direkt zu der Straße in dem Villenviertel, in dem Wislander wohnte. Sie fuhren am Haus mit der Nummer neunzehn vorbei und parkten den Wagen außer Sichtweite.
»Gehen wir«, sagte Wallander. »Überlaß mir das Reden.«
Das Haus war groß. Wallander nahm an, daß es Anfang des Jahrhunderts gebaut worden war. Als sie durch das Gartentor traten, registrierte er, daß der Garten ungepflegt war. Er sah, daß Martinsson es ebenfalls bemerkte. Wallander klingelte an der Haustür. Fragte sich, was sie wohl erwartete. Er klingelte noch einmal. Niemand öffnete. Erneutes Klingeln. Keine Reaktion. Nichts. Wallander entschied sich schnell.
|262| »Warte hier. Nicht beim Haus, sondern draußen auf der Straße. Seine Kirche liegt nicht weit von hier entfernt. Ich nehme deinen Wagen.«
Wallander hatte sich den Namen der Kirche notiert. Auf einer Karte hatte Svedberg am Abend zuvor gezeigt, wo sie lag. Er brauchte fünf Minuten, um dorthin zu gelangen. Die Kirche schien verlassen. Vielleicht hatte er sich geirrt. Anders Wislander war nicht da. Aber als er die Kirchentür anfaßte, war sie unverschlossen. Er betrat den dunklen Vorraum und zog die Tür hinter sich zu. Alles war sehr still. Die Geräusche von draußen drangen nicht durch die dicken Mauern. Wallander ging ins Kirchenschiff. Dort war es heller. Sonnenlicht fiel durch die bunten Fenster.
Wallander sah, daß jemand in der ersten Reihe
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