Wallander 10 - Wallanders erster Fall
dunkel und finster und tragisch«, begann er. »Simon Lamberg und Louise Wislander haben sich nach jener Busreise weiter heimlich getroffen. Ihr Mann hat nichts davon gewußt. Bis neulich, kurz bevor Louise Wislander starb. Sie hatte Leberkrebs. In ihrer Todesstunde hat sie ihm ihre Untreue gestanden. Wislander geriet vollkommen aus dem Gleichgewicht und erlitt einen Anfall von Geistesgestörtheit. Anders läßt sich sein Zustand nicht bezeichnen. Teils aus Trauer über den Tod seiner Frau, teils aus Wut und Verzweiflung über ihren Verrat. Er begann Lamberg zu beschatten und gab ihm auch die Schuld am Tod seiner Frau. Wislander ließ sich krank schreiben und verbrachte fast seine gesamte Zeit hier in Ystad. Er beobachtete das Fotoatelier, wohnte in einem der kleinen Hotels hier in Ystad. Er folgte auch der Putzhilfe, Hilda Waldén. An einem Samstag brach er in ihre Wohnung ein, entwendete die Schlüssel und ließ Kopien davon anfertigen. Bevor sie zurückkam, hatte er die Schlüssel schon wieder an ihren Platz gelegt. Auf diese Weise verschaffte er sich Zugang zum Atelier und erschlug Lamberg mit einem Leuchter. In seiner Verwirrung glaubte er danach, Lamberg lebe noch. Also kam er tatsächlich zurück, |265| um ihn noch einmal totzuschlagen. Das Gesangbuch verlor er, als er sich in dem Garten versteckte. Daß er das Radio anmachte und die Sendereinstellung veränderte, ist ein kurioses Detail. In seinem Kopf spukte die Vorstellung, er könne aus dem Radio die Stimme Gottes hören. Und daß Gott ihm die Schuld, die er mit seiner Tat auf sich geladen hatte, vergeben würde. Aber statt dessen erwischte er einen Kanal, auf dem Rockmusik gesendet wurde. Die Bilder waren einzig und allein Lambergs Werk. Sie hatten nichts mit dem Mord zu tun. Er hatte für Politiker und andere Machtmenschen wohl nur Verachtung übrig. Außerdem war er also unzufrieden mit der Polizei. Er war ein Querulant. Ein kleiner Mann, der die Welt dadurch beherrschte, daß er Gesichter deformierte. Aber dies ist jedenfalls die Lösung des ganzen Falles. Ich kann mir nicht helfen, aber Wislander tut mir leid. Seine Welt brach zusammen. Und er konnte dem nichts entgegensetzen.«
Es wurde still im Raum.
»Warum hat Louise Wislander Lambergs behinderte Tochter besucht?« fragte Hansson.
»Darüber habe ich auch nachgedacht«, antwortete Wallander. »Vielleicht hatten Simon Lamberg und sie sich auf dieser Busreise in einer Leidenschaft gefunden, die religiöse Züge hatte? Vielleicht hielten sie irgendeine Art von Fürbitte für Matilda? Fuhr Louise Wislander anschließend in das Heim, um nachzusehen, ob ihre Fürbitte erhört worden war? Vielleicht war sie der Meinung, Matilda sei ein Opfer des früheren sündigen Lebens ihrer Eltern? Wir werden es nie erfahren. Ebensowenig, wie wir je erfahren werden, was diese beiden ungleichen Personen miteinander verband. Es gibt immer geheime Räume, in die wir nicht einzudringen vermögen. Und das ist auch gut so.«
»Man kann noch einen Schritt weitergehen«, ergänzte Rydberg. »Wenn man an Wislander denkt. Vielleicht rührte seine eigentliche Wut daher, daß Lamberg seine Frau vor allem religiös verführt hatte. Nicht erotisch. Man kann sich fragen, ob es sich in diesem Fall nur um die ganz normale Eifersucht gehandelt hat.«
Erneut trat Stille ein. Dann kamen sie wieder auf Lambergs Bilder zu sprechen.
»Auf seine Art muß der doch auch verrückt gewesen sein«, |266| meinte Hansson. »Seine Freizeit damit zu verbringen, die Fotos bekannter Personen zu deformieren.«
»Vielleicht ist die Erklärung eine ganz andere?« schlug Rydberg vor. »Vielleicht gibt es heutzutage Menschen, die sich so ohnmächtig fühlen, daß sie sich nicht mehr an dem beteiligen, was wir das demokratische Gespräch zu nennen pflegen. Sondern sich statt dessen Riten zuwenden. Und wenn es so ist, dann ist es um unser Land wirklich schlecht bestellt.«
»An die Möglichkeit habe ich noch gar nicht gedacht«, sagte Wallander. »Aber du kannst natürlich recht haben. Und dann stimme ich dir zu. Dann ist wirklich etwas faul im Staate Schweden.«
Ihre Sitzung war vorüber. Wallander fühlte sich müde und niedergeschlagen. Trotz des schönen Wetters. Und Mona fehlte ihm.
Dann schaute er auf die Uhr. Viertel nach vier.
Er mußte wieder zum Zahnarzt.
Zum wievielten Mal, wußte er nicht mehr.
|267| Die Pyramide
|269| Prolog
Die Maschine trat westlich von Mossby Strand in geringer Höhe in den schwedischen Luftraum ein. Der Nebel
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