Wallander 10 - Wallanders erster Fall
Jahren war er oft in Kopenhagen gewesen. In der letzten Zeit zuweilen mit Mona. Früher meist allein. Er mochte die Stadt. So viel größer als Malmö. Manchmal besuchte er das königliche Theater, wenn es eine Opernvorstellung gab, die er sehen wollte.
Eigentlich mochte er die Flugboote nicht. Die Reise ging viel zu schnell. Die alten Fähren gaben ihm stärker das Gefühl, daß zwischen Schweden und Dänemark ein Abstand existierte. Daß er eine Auslandsreise machte, wenn er über den Sund fuhr. Er schaute aus dem Fenster, während er Kaffee trank. Eines Tages werden sie hier bestimmt eine Brücke bauen, dachte er, aber den Tag brauche ich wohl nicht mehr zu erleben.
Als Wallander in Kopenhagen ankam, hatte wieder Nieselregen eingesetzt. Das Boot legte in Nyhavn an. Jespersen hatte ihm erklärt, wo seine Stammkneipe lag, und Wallander war sehr gespannt, als er hineinging.
Es war Viertel vor vier. Er blickte sich in dem düsteren Lokal um. An den Tischen saßen vereinzelt Gäste und tranken Bier.
Irgendwo lief ein Radio. Oder war es ein Grammophon? Eine dänische Frauenstimme sang etwas, was sehr sentimental klang. Wallander konnte Jespersen an keinem der Tische entdecken. Hinter der Theke stand der Barkeeper und löste das Kreuzworträtsel in einer Zeitung, die aufgeschlagen vor ihm lag. Er blickte auf, als Wallander an den Tresen trat.
»Ein Bier«, sagte Wallander. Der Mann gab ihm ein Tuborg.
»Ich suche Jespersen«, sagte Wallander.
»Holger? Der kommt erst in einer Stunde.«
»Er ist also nicht auf See?«
Der Barkeeper lächelte. »Dann würde er wohl kaum in einer Stunde kommen. Er ist meistens so gegen fünf hier.«
Wallander setzte sich an einen Tisch und wartete. Die sentimentale Frauenstimme war jetzt von einer ebenso sentimentalen Männerstimme abgelöst worden. Wenn Jespersen gegen fünf kam, würde Wallander ohne Probleme rechtzeitig wieder in Malmö sein, um Mona noch anzurufen. Er versuchte zu überlegen, was er sagen sollte. Die Ohrfeige würde er überhaupt nicht erwähnen. Er |100| würde ihr erzählen, warum er Helena angerufen hatte. Und er würde nicht nachgeben, bevor sie ihm glaubte.
An einem Tisch war ein Mann eingeschlafen. Der Barkeeper stand immer noch über sein Kreuzworträtsel gebeugt. Die Zeit verstrich langsam. Dann und wann ging die Tür auf, und Tageslicht fiel herein. Jemand kam und jemand ging. Wallander schaute auf die Uhr. Zehn vor fünf. Immer noch kein Jespersen. Er wurde hungrig und bekam ein paar Wurststücke auf einem Teller. Und noch ein Tuborg. Er hatte das Gefühl, daß der Barkeeper immer noch über demselben Wort brütete wie vorhin, als Wallander hereingekommen war.
Es wurde fünf Uhr. Immer noch kein Jespersen. Er kommt nicht, dachte Wallander.
Zwei Frauen traten durch die Tür. Eine von ihnen bestellte einen Schnaps und setzte sich an einen Tisch. Die andere ging hinter den Tresen. Der Barkeeper wandte sich von der Zeitung ab und begann, die Flaschen in den Regalen durchzugehen. Offensichtlich arbeitete die Frau in der Kneipe.
Es wurde zwanzig nach fünf.
Die Tür ging auf, und Jespersen kam herein. In Jeansjacke und Schlägermütze. Er ging direkt zur Theke und grüßte. Der Barkeeper stellte sofort eine Tasse Kaffee vor ihn und zeigte auf den Tisch, an dem Wallander saß. Jespersen nahm seine Kaffeetasse und grinste, als er sah, daß es Wallander war.
»Das ist aber ungewartet«, sagte er in gebrochenem Schwedisch. »Ein schwedischer Polizeibedienter in Kopenhagen.«
»Nicht Bedienter«, sagte Wallander, »Kriminalpolizist.«
»Ist das nicht verdammt noch mal dasselbe?« Jespersen kicherte und tat vier Stücke Zucker in den Kaffee. »Auf jeden Fall schön, Besuch zu bekommen«, sagte er. »Ich kenne alle, die hierherkommen. Ich weiß, was sie trinken, und ich weiß, was sie sagen. Und sie wissen das alles auch über mich. Manchmal frage ich mich, warum ich nicht woanders hingehe. Aber ich glaube, das wage ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Jemand könnte etwas sagen, was ich nicht hören will.«
Wallander war nicht sicher, ob er alles verstand, was Jespersen |101| sagte. Teils war sein Dänisch-Schwedisch genuschelt, teils konnten seine Aussagen manchmal etwas unklar sein.
»Ich bin hergekommen, um dich zu treffen«, sagte Wallander. »Ich dachte, daß du mir vielleicht helfen kannst.«
»Jedem anderen Polizeibedienten würde ich sagen, er sollte sich zur Hölle scheren«, erwiderte Jespersen munter, »aber mit dir ist es was anderes. Was
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