Wallander 10 - Wallanders erster Fall
willst du denn wissen?«
Wallander erzählte in kurzen Zügen, was passiert war.
»Ein Seemann, der sowohl Anders Hansson als auch Artur Hålén heißt«, schloß er. »Der als Maschinist und auch als Matrose gefahren ist.«
»Welche Reederei?«
»Sahlèn.«
Jespersen schüttelte langsam den Kopf. »Ich müßte davon gehört haben, wenn jemand den Namen gewechselt hat«, sagte er. »Ich glaube nicht, daß so etwas häufig vorkommt.«
Wallander versuchte Håléns Aussehen zu beschreiben. Gleichzeitig dachte er an die Fotografien, die er in den Seemannsbüchern gesehen hatte. Ein Mensch veränderte sich. Vielleicht hatte Hålén sein Äußeres ebenso bewußt verändert wie seinen Namen?
»Kannst du mir noch mehr sagen?« fragte Jespersen. »Außer daß er Matrose und Maschinist war, was an und für sich eine ungewöhnliche Kombination ist. Welche Häfen hat er angelaufen? Auf was für Schiffen ist er gefahren?«
»Ich glaube, er ist ziemlich häufig in Brasilien gewesen«, meinte Wallander zögernd. »Rio de Janeiro natürlich. Aber auch in einer Stadt, die São Luis heißt.«
»Nordbrasilien«, antwortete Jespersen, »ich bin einmal da gewesen. Hatte Freigang und wohnte elegant in einem Hotel, das Casa Grande hieß.«
»Viel mehr kann ich dir nicht erzählen«, sagte Wallander.
Jespersen betrachtete ihn, während er noch ein Stück Zucker in seine Kaffeetasse tat. »Jemand, der ihn kannte? Ist es das, was du wissen willst? Jemand, der Anders Hansson kannte oder Artur Hålén?«
Wallander nickte.
»Dann kommen wir im Moment nicht weiter«, sagte Jespersen, |102| »aber ich werde mich umhören. Sowohl hier als auch in Malmö. Und jetzt gehen wir etwas essen, finde ich.«
Wallander schaute auf die Uhr. Halb sechs. Er brauchte sich nicht zu beeilen. Wenn er das Boot um neun nahm, käme er noch früh genug nach Hause, um Mona anzurufen. Außerdem hatte er Hunger. Die Wurststücke hatten ihn nicht gesättigt.
»Muscheln«, entschied Jespersen und stand auf. »Wir gehen in Anne-Birtes ›Krug‹ und essen Muscheln.«
Wallander bezahlte für seine Getränke. Weil Jespersen schon hinausgegangen war, mußte Wallander auch den Kaffee bezahlen.
Anne-Birtes »Krug« lag im unteren Teil von Nyhavn. Weil es noch früh am Abend war, hatten sie keine Probleme, einen Tisch zu finden. Muscheln waren vielleicht nicht das, worauf Wallander am meisten Appetit hatte, aber Jespersen hatte entschieden, daß es Muscheln sein sollten. Wallander trank weiter Bier, während Jespersen zu einer giftiggelben Zitronenlimonade überging.
»Ich saufe im Moment nicht«, sagte er, »aber in ein paar Wochen fange ich wieder an.«
Sie aßen, und Wallander hörte Jespersens zahlreichen und gut erzählten Geschichten aus seiner Zeit auf See zu. Kurz vor halb neun brachen sie auf.
Wallander war vorübergehend besorgt, ob er genug Geld bei sich hatte, um die Rechnung zu bezahlen, denn Jespersen sah es offensichtlich als selbstverständlich an, daß er eingeladen war. Aber es reichte.
Sie trennten sich vor dem »Krug«.
»Ich werde die Sache untersuchen«, versprach Jespersen. »Ich lasse von mir hören.«
Wallander ging hinunter zum Fähranleger und stellte sich in die Schlange. Um Punkt neun Uhr wurden die Leinen losgeworfen. Wallander schloß die Augen und schlief sofort ein.
Er erwachte davon, daß alles um ihn her sehr still war. Das Dröhnen der Schiffsmotoren war verstummt. Verwundert blickte er sich um. Sie befanden sich ungefähr in der Mitte zwischen Dänemark und Schweden. Über den Lautsprecher kam eine Mitteilung des Kapitäns. Das Schiff hatte einen Maschinenschaden und mußte nach Kopenhagen zurückgeschleppt werden. Wallander fuhr aus |103| seinem Sitz hoch und fragte eine der Schiffsstewardessen, ob es Telefon an Bord gäbe. Er erhielt eine negative Antwort.
»Wann kommen wir nach Kopenhagen zurück?« fragte er.
»Das wird leider ein paar Stunden dauern, aber wir laden Sie in der Zwischenzeit zu einem belegten Brot und einem Getränk Ihrer Wahl ein.«
»Ich will kein belegtes Brot«, sagte Wallander. »Ich brauche ein Telefon.«
Aber niemand konnte ihm helfen. Er wandte sich an den Steuermann, der ihm kurz und bündig erklärte, daß die Funktelefone nicht für private Gespräche benutzt werden konnten, solange sich das Schiff in einer Notsituation befand.
Wallander setzte sich wieder.
Das glaubt sie mir nie, dachte er. Ein Tragflächenboot mit Motorschaden. Das ist zuviel für sie. Jetzt geht unsere Beziehung
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