Wallander 10 - Wallanders erster Fall
Karriere vielleicht nicht dienlich sein würde, die Großstadt zu verlassen.
Er war bei verschiedenen Gelegenheiten ins Polizeipräsidium von Ystad gekommen und hatte sich mit seinen zukünftigen Kollegen bekannt gemacht. Vor allem hatte er einen Polizeibeamten in mittleren Jahren namens Rydberg schätzen gelernt.
Wallander hatte vorab hartnäckige Gerüchte gehört, dieser Rydberg sei ein barscher und abweisender Mensch. Sein Eindruck war vom ersten Moment an ein anderer gewesen. Rydberg war zweifellos ein Mann, der seine eigenen Wege ging. Aber Wallander war vor allem beeindruckt von seiner großen Fähigkeit, mit wenigen Worten ein Verbrechen exakt zu beschreiben und zu analysieren.
Er ging zum Schreibtisch zurück und drückte die Zigarette aus. Es war Viertel nach fünf. Jetzt konnte er fahren. Er nahm seine Jacke vom Haken an der Wand. Er würde langsam und vorsichtig nach Hause fahren.
Vielleicht hatte er am Telefon sauer und unfreundlich geklungen, ohne es zu merken? Er war müde. Er brauchte die freien Tage. Mona würde es verstehen, wenn er nur erst Zeit hatte, es zu erklären.
Er zog die Jacke an und fühlte nach, ob er die Schlüssel zu seinem Peugeot in der Tasche hatte.
An der Wand, gleich neben der Tür, hing ein kleiner Rasierspiegel. |128| Wallander betrachtete sein Gesicht. Er war zufrieden mit dem, was er sah. Bald würde er dreißig werden. Aber im Spiegel sah er ein Gesicht, das wesentlich jünger wirkte.
Im gleichen Augenblick wurde die Tür geöffnet. Es war Hemberg, sein unmittelbarer Vorgesetzter, seit er zur Mordkommission gewechselt war. Wallander arbeitete meistens gut mit ihm zusammen. Wenn es zwischen ihnen einmal Probleme gab, lag das fast ausschließlich an Hembergs heftigem Temperament.
Wallander wußte, daß Hemberg sowohl Weihnachten als auch Neujahr Dienst tun würde. Weil er Junggeselle war, hatte er seine freien Tage mit einem Kollegen getauscht, der eine Familie mit vielen Kindern hatte.
»Ich habe mich gerade gefragt, ob du noch da bist«, sagte Hemberg.
»Ich wollte eben gehen«, erwiderte Wallander. »Ich hatte vor, eine halbe Stunde früher abzuhauen.«
»Von mir aus«, sagte Hemberg.
Aber Wallander war sofort klar, daß Hemberg aus einem bestimmten Grund in sein Zimmer gekommen war.
»Was wolltest du denn?« fragte er.
Hemberg zuckte mit den Schultern. »Du wohnst doch jetzt in Ystad«, begann er, »und deswegen dachte ich, du könntest vielleicht unterwegs mal kurz anhalten. Ich habe im Moment ein bißchen wenig Leute. Und an der Sache ist bestimmt sowieso nichts dran.«
Wallander wartete ungeduldig auf die Fortsetzung.
»Eine Frau hat heute nachmittag ein paarmal angerufen. Sie hat ein kleines Lebensmittelgeschäft bei dem Möbelhaus, unmittelbar in der Nähe des letzten Rondells bei Jägersro. Neben der O K-Tankstelle .«
Wallander wußte, wo es war.
Hemberg warf einen Blick auf den Zettel in seiner Hand.
»Sie heißt Elma Hagman und ist der Stimme nach schon ziemlich alt. Sie sagte, daß sich bereits den ganzen Nachmittag eine sonderbare Person vor ihrem Laden herumtreibe.«
Wallander wartete vergeblich auf eine Fortsetzung. »Ist das alles?«
|129| Hemberg machte eine vielsagende Geste mit den Armen. »Es sieht so aus. Sie hat gerade wieder angerufen. Und da bist du mir plötzlich eingefallen.«
»Ich soll also kurz anhalten und mit ihr reden?«
Hemberg warf einen Blick auf die Uhr. »Sie wollte um sechs Uhr zumachen. Du würdest gerade noch rechtzeitig kommen. Ich nehme an, sie hat sich nur etwas eingebildet. Aber du kannst sie ja zumindest beruhigen. Und ihr frohe Weihnachten wünschen.«
Wallander überlegte. Es würde ihn höchstens zehn Minuten kosten, bei dem Laden anzuhalten und festzustellen, ob alles in Ordnung war.
»Ich rede mit ihr«, sagte er. »Immerhin bin ich ja noch im Dienst.«
Hemberg nickte. »Frohe Weihnachten«, sagte er. »Wir sehen uns dann Silvester.«
»Hoffentlich wird es ein ruhiger Abend«, sagte Wallander.
»Zur Nacht hin beginnen die Streitereien«, erwiderte Hemberg düster. »Wir können nur hoffen, daß die Leute nicht allzu gewalttätig werden. Und daß nicht allzu vielen erwartungsfrohen Kindern die Freude genommen wird.«
Sie trennten sich im Korridor. Wallander eilte zu seinem Wagen, den er an diesem Tag vor dem Polizeipräsidium geparkt hatte. Es regnete jetzt stärker. Er legte eine Kassette ein und drehte die Lautstärke hoch. Die Stadt um ihn her glitzerte von erleuchteten Schaufenstern und
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