Wallander 10 - Wallanders erster Fall
Hagmans Laden geschickt hatte. Dann würde es nicht mehr lange dauern, bis die Streifenwagen hier wären.
Wallander horchte. Alles war still. Er streckte sich und versuchte zu sehen, ob die Kasse aufgebrochen war. Um etwas anderes als einen Raubmord konnte es sich ja kaum handeln. War die |132| Kasse offen, hatte der Räuber zudem mit großer Sicherheit das Weite gesucht. Wallander streckte sich, so weit er konnte, aber er vermochte nicht zu erkennen, ob die Kasse geöffnet oder geschlossen war. Dennoch war er überzeugt davon, daß er sich jetzt allein mit der toten Besitzerin in dem Laden befand.
Der Mann, der sie ermordet und ihn niedergeschlagen hatte, mußte bereits verschwunden sein. Mit größter Wahrscheinlichkeit hatte er Wallanders Wagen genommen, denn er hatte den Schlüssel steckenlassen.
Wallander zerrte wieder an seinen Fesseln. Nachdem er die Arme und Beine so weit gestreckt hatte, wie es ihm möglich war, wurde ihm klar, daß er sich auf sein linkes Bein konzentrieren mußte. Wenn er das Bein noch stärker hin und her bewegte, konnte er das Seil lockern und vielleicht loskommen. Das wiederum würde bedeuten, daß er sich umdrehen und nachschauen könnte, wie er an der Wand festgebunden war.
Er merkte, daß ihm der Schweiß ausbrach. Ob es die Anstrengung war oder die Angst, konnte er nicht sagen. Vor sechs Jahren war er niedergestochen worden. Damals war alles so schnell gegangen, daß er überhaupt nicht hatte reagieren und sich wehren können. Das Messer war unmittelbar neben dem Herzen in seine Brust gedrungen. Damals war die Angst erst hinterher gekommen. Diesmal war sie von Anfang an da. Er versuchte sich einzureden, daß nichts mehr passieren würde. Früher oder später würde er sich befreien, früher oder später würde man auch anfangen, nach ihm zu suchen.
Einen Augenblick ließ er von seinen Anstrengungen ab, das linke Bein zu befreien. Sofort schlug die Absurdität der Situation über ihm zusammen. Eine alte Frau wurde an Heiligabend kurz vor Ladenschluß in ihrem Geschäft ermordet. Die Brutalität war auf erschreckende Weise unwirklich. Solche Dinge passierten in Schweden ganz einfach nicht. Schon gar nicht an Heiligabend.
Wieder zerrte und ruckte er an seinen Fesseln. Es ging langsam, aber er hatte das Gefühl, daß das Seil nicht mehr ganz so fest saß. Es gelang ihm mit großer Mühe, den Arm so zu drehen, daß er auf die Uhr sehen konnte. Neun Minuten nach sechs. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis Mona unruhig würde. Noch eine halbe |133| Stunde, und sie würde sich Sorgen machen. Spätestens um halb acht würde sie in Malmö anrufen.
Wallander wurde in seinen Gedanken unterbrochen. Er hatte irgendwo in der Nähe ein Geräusch gehört. Er hielt den Atem an und lauschte. Dann hörte er es wieder. Ein scharrendes Geräusch. Er hatte es schon vorher gehört. Es war die Ladentür. Er hatte das gleiche Geräusch verursacht, als er selbst den Laden betreten hatte. Jemand kam herein. Jemand, der sehr leise ging.
Dann entdeckte er den Mann.
Er stand neben der Theke und schaute auf ihn herunter.
Er hatte eine schwarze Maske über den Kopf gezogen und trug eine dicke Jacke und Handschuhe. Er war mittelgroß und wirkte mager. Er stand vollkommen reglos. Wallander versuchte seine Augen zu sehen. Aber das Licht von der Neonlampe an der Decke war ihm dabei keine Hilfe. Er konnte nichts erkennen. Nur zwei dunkle Löcher.
In der Hand hielt der Mann ein Eisenrohr.
Er stand unbeweglich da.
Wallander fühlte sich klein und hilflos. Er konnte höchstens rufen. Das war alles. Und es wäre sinnlos. Es war niemand in der Nähe. Niemand würde ihn hören.
Der vermummte Mann betrachtete ihn unverwandt.
Dann drehte er sich hastig um und verschwand. Wallander fühlte sein Herz in der Brust hämmern. Er versuchte Geräusche auszumachen. Die Tür? Aber er hörte nichts. Der Mann befand sich also noch im Laden.
Wallander dachte fieberhaft nach. Warum ging der Mann nicht? Warum blieb er? Worauf wartete er?
Er ist von draußen gekommen, dachte Wallander. Er ist in den Laden zurückgekommen. Er wollte kontrollieren, ob ich noch da bin, wo er mich niedergeschlagen und gefesselt hat.
Wallander versuchte den Gedanken zu Ende zu denken. Die ganze Zeit über lauschte er.
Ein maskierter Mann mit Handschuhen begeht einen Raubüberfall, ohne erkannt zu werden. Er hat sich Elma Hagmans einsamen Laden ausgesucht. Warum er sie erschlagen hat, bleibt unbegreiflich. Sie kann ihm keinen Widerstand
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