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Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Titel: Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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erschienen die Chorführer, und sie strotzten vor Kraft und Begeisterung. Dann kamen die beiden Nebendarsteller herein, die zwar einen Kater hatten, aber ansonsten wohlauf waren. Vom Hauptdarsteller fehlte allerdings jede Spur. Nun war der betreffende Mann, ein gewisser Philocharmos, wegen seines ständigen Zuspätkommens zu allen möglichen Anlässen berüchtigt, deshalb machten wir uns zunächst keine Sorgen. Doch als nur noch eine Stunde Zeit bis zum Beginn der ersten Tragödie blieb und Philocharmos immer noch nicht aufgetaucht war, sandte Philonides Boten auf die Suche nach ihm aus, und wir saßen da, starrten uns gegenseitig an und fragten uns, was in aller Welt passiert sein konnte. Philonides war mittlerweile äußerst aufgeregt und vertrieb sich die Zeit damit, uns in allen Einzelheiten zu beschreiben, was er mit Philocharmos anstellen werde, sobald er ihn in die Finger bekomme. Doch tief im Innern wußte ich bereits, was mit ihm passiert war, und deshalb war ich, als einer von Philonides’ Boten hereingestürmt kam und erzählte, was mit Philocharmos tatsächlich geschehen war, nicht im mindesten überrascht.
    Philocharmos (berichtete der Bote) befinde sich auf dem Marktplatz. Er sei mit Wein, verpanscht mit Mohnaufguß, abgefüllt worden und jetzt hoffnungslos betrunken, und es bestehe nicht die geringste Aussicht, ihn bis zum heutigen Nachmittag wieder nüchtern zu bekommen. Wie der Bote weiterhin erzählte, habe er ein paar Männer getroffen, die unseren Hauptdarsteller am vorhergehenden Abend bei einem Umtrunk mit einem rothaarigen und einem großen Mann mit Sommersprossen beobachtet hätten, und mehr brauchten wir nicht zu hören. Diese beiden Kerle waren die Anführer von Aristophanes’ bezahlten Beifallklatschern – dieselben Männer, die die Störung während der Voraufführung veranstaltet hatten. Warum Philocharmos sie nicht erkannt hatte, bleibt Zeus’ Geheimnis. Ich glaube allerdings, daß er sie sehr wohl erkannte und bei dieser Gelegenheit eine ansehnliche Summe Silbergeld den Besitzer wechselte.
    Das schien es also gewesen zu sein: Wir hatten keinen Hauptdarsteller mehr und somit auch kein Theaterstück. Wenigstens die Hälfte der Verse im Stück wurde vom Hauptdarsteller gesprochen, was zu meiner Zeit in der Komödie üblich war. Philonides bekam fast einen Herzanfall, zumal es eigentlich seine Aufgabe gewesen wäre, sicherzustellen, daß so etwas nicht passieren konnte. Aber ich kann ihm nichts vorwerfen; bei den Leuten, die man normalerweise im Auge behalten muß, handelt es sich um die Komödiendichter, die mit einem gemeinsam an den jeweiligen Festspielen teilnehmen, und nicht um irgend jemanden, der gar nicht am Wettkampf teilnimmt, und ich bin mir sicher, Philonides hatte alle denkbaren Vorsichtsmaßnahmen gegen Sabotageversuche seitens meiner beiden direkten Mitkonkurrenten getroffen. Es war ihm gar nicht in den Sinn gekommen, daß Aristophanes seinen persönlichen Groll gegen mich so weit treiben könnte.
    Auch etwa eine halbe Stunde vor Beginn der ersten Tragödie hatten wir noch immer keinen Plan; ich war dafür, zum Archon zu gehen und ihm von dem Vorfall zu berichten, damit er für einen Ersatz sorgen könnte.
    Doch Philonides wollte nichts davon wissen. Er blickte mich einfach an und sagte: »Ich lasse mir doch meine beste Arbeit nicht auf diese Weise über den Haufen werfen. Einer von uns beiden muß die Rolle übernehmen.«
    Ich blickte ihn entsetzt an. »Du spinnst wohl«, entrüstete ich mich. »Ich habe von der Schauspielerei nicht die geringste Ahnung.«
    »Ich weiß«, entgegnete er mit ruhiger Stimme. »Außerdem hast du eine grundverkehrte Stimme und bewegst dich wie ein Ochsenkarren, an dem ein Rad fehlt. Und du bist zu klein. Nein, du kannst die Rolle auf keinen Fall spielen. In tausend Jahren nicht.«
    Wir blickten uns gegenseitig in die Augen. Seit vielen Jahren kannten wir uns. Philonides war der erste Mensch gewesen, mit dem ich am Tag meiner Rückkehr aus Sizilien gesprochen hatte. Wenn ich in Athen einen einzigen Freund besaß, dann Philonides. Außerdem war er sehr wohl imstande, selbst Thespis höchstpersönlich an die Wand zu spielen; er verfügte über eine herrliche Stimme, über ein großartiges Gefühl für zeitliche Abläufe und über eine Autorität, bei der sich die Zuschauer in den Sitzen aufrichten und aufmerksam sein würden. Die Sache hatte jedoch einen Haken: Philonides hatte furchtbare Angst, vor Publikum zu sprechen.
    Einst hatte er mir

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