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Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer

Titel: Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Holt
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geraubt worden sei; in Wirklichkeit habe man sie nach Ägypten verschwinden lassen, und Paris sei von einem aus Wolken geformten Ebenbild Helenas nach Troja begleitet worden. Die Götter hätten die Trojaner bereits bestraft und sie die Schrecken des Kriegs für eine Handvoll Wasserdampf erdulden lassen; und auf dieselbe Weise würden die Götter jetzt auch die Griechen strafen, weil sie so kriegerisch seien, daß sie die riesigste Flotte zu Wasser gelassen hätten, die man je gesehen habe, und das alles nur unter dem Vorwand, Helena zurückzuholen, in Wirklichkeit jedoch, um sich ein eigenes Reich aufzubauen. Mittlerweile hätten sowohl die Griechen als auch die Trojaner eine schwere Zeit hinter sich gehabt, und deshalb müsse das Morden einfach ein Ende haben.
    Wie Sie sehen, hatte das Ganze einen aufdringlich aktuellen Bezug und sollte Herz und Gemüt meines Publikums direkt ansprechen. Aber da kam mir der furchtbare Gedanke, daß ja dieser erfundene Thersites von Euripides zu einer Zeit geschrieben sein sollte, als der Feldzug nach Sizilien nicht mehr als eine verschrobene Idee in Alkibiades’ Hinterkopf gewesen war. Deshalb änderte ich schnell die Richtung des Stücks und legte Odysseus einige geistreiche Worte über die Rechtschaffenheit der Götter (dramatische Ironie) und über das Wesen der Wahrheit in den Mund. Nach mehreren Fehlstarts gelang es mir schließlich, einen überzeugenden Weg zu finden, die Sache abzurunden und den Wortstreit zu beenden. Mein Mund war so trocken wie Papyros, und ich zitterte, als würde ich von Fieber geschüttelt.
    Nun lieben alle Autoren den Beifall; es gibt auf der ganzen Welt nichts Vergleichbares. Die Wirkung, die er auf einen hat, ist schon etwas Merkwürdiges. Sie können ein waschechter Oligarch wie dieser Schwachkopf Peisandros sein und das Volk für den allerletzten Abschaum halten oder auch völlig unnahbar und intellektuell – wie beispielsweise Agathon oder Theognis – und behaupten, der Durchschnittsbürger besitze nicht die geringste Kultur und sei vollkommen unfähig, die geistige Größe Ihres Werks zu begreifen – doch Wert legen Sie einzig und allein auf das Lob und den Beifall, der Ihnen von allen diesen Ruderern, Wurstverkäufern, Bademeistern, Zimmermännern, Steinmetzen und umherziehenden Erntearbeitern und Olivenpflückern gespendet wird, die dicht an dicht auf den Theaterbänken sitzen. Sie haben keine Ahnung, was den Zuschauern gefallen hat, oder interessieren sich nicht einmal dafür; soweit Sie wissen, könnten es die Kostüme gewesen sein oder auch die Vortragsweise, in der die Schauspieler ihren Text gesprochen haben (wahrscheinlich nicht in einem meiner Stücke). Aber das einzige, worum sich wirklich alles dreht, ist dieser Beifall; der ist besser, als sämtliche Komplimente von den jungen Männern in den Bädern oder den alten Männern auf Feiern. Wenn sich Ihr ganz normaler Fischhändler oder Barbier oder Käfigvogelverkäufer als Theaterkritiker aufspielt, halten sie nicht viel davon; doch sobald seine Hände ins Klatschen einstimmen oder er über Ihren Witz über die Aale lacht, an dem Sie die ganze Nacht über herumgefeilt haben und den Sie immer noch nicht richtig gelungen finden, dann schätzen Sie seine Meinung höher als die von Kratinos höchstpersönlich. Worauf ich nun hinauswill, ist die Tatsache, daß diese einfachen sizilianischen Bauern klatschten – und wie die klatschten! –, und ich glaube nicht, jemals zuvor etwas so Herrliches erlebt zu haben. Sie sprangen begeistert in die Luft, sie pfiffen und sie schrien, und ich vergaß ganz und gar die Steinbrüche und strahlte einfach vor mich hin. Wenn man bedenkt, daß die Tragödie überhaupt nicht mein Fach ist und es sich bei meiner Aufführung nicht einmal um eine besonders gute Tragödie handelte, war das – wenn ich es mir heute überlege – schon sehr eigenartig.
    Der Schmied schlug mehrmals wuchtig mit einem Hammer auf den Amboß, um die Ordnung wiederherzustellen, und in der Schmiede wurde es schnell still.
    »Nicht schlecht«, sagte der Schmied. »Und jetzt zeig uns etwas von Euripides, sonst wanderst du mit deinem Freund in die Steinbrüche.«
    Nie zuvor war ich einem scharfsinnigeren Mann als diesem Schmied begegnet. An seinem Gesichtsausdruck war abzulesen, daß man ihm nichts vormachen konnte, und da mir kein geeigneter Ausweg einfiel, räumte ich kleinlaut ein: »Tut mir leid, ich kenne nichts von Euripides.«
    Aristophanes stieß eine Art Klagelaut aus und

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