Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
wollten, daß der jeweils andere nur den Stichwortgeber für die eigenen Witze spielte, und um die entscheidenden Stichworte entspann sich eine Art geistiger Ringkampf, den ich schließlich gewann.
Von diesem Dialog kann ich Ihnen noch heute jede Zeile Wort für Wort wiedergeben. Er spielte sich zwischen Aischylos und Euripides ab und drehte sich darum, wer von beiden der bessere Dichter sei. Die beiden Tragiker ersparen sich dabei keinen der uralten Witze über das Werk des anderen, und dann tragen sie den Kampf untereinander nach metrischen und prosodischen Punkten aus. Das war zu unser beider Vorteil, da wir flugs einen oder zwei Brocken aus den echten Tragödien zitieren konnten, wenn wir merkten, daß uns die Ideen ausgingen, wodurch wir Gelegenheit bekamen, uns inzwischen schon den nächsten Witz auszudenken. Zudem belustigte das auch die Zuschauer, weil sie sich dadurch unheimlich belesen vorkamen, und sie folgten der ganzen fachlichen Materie wie Schuljungen – was uns bewies, daß sie sich mit der Tragödie wirklich auskannten. Wie der gesamte Dialog war auch der Schluß meine Idee: Aischylos behauptet, Euripides’ Jamben seien so ermüdend gleichmäßig geschrieben, daß man an jeder beliebigen Stelle alle möglichen abgedroschenen Phrasen, wie beispielsweise ›Verlor den Schuh‹, einschieben könne. Euripides ist daraufhin wütend und läßt seine bekanntesten zitierbaren Verse vom Stapel, jene Verse, die einem die Leute dann entgegenschleudern, wenn sie die These erhärten wollen, daß man sie heute so nicht mehr schreibt. Ich war Euripides, und Aristophanes spielte Aischylos, er brauchte also immer nur an der geeigneten Stelle sein ›Verlor den Schuh‹ einzusetzen. Meine Aufgabe war es, unvergängliche Verse von Euripides zu finden, die man dieser unwürdigen Behandlung unterziehen konnte, und das war nicht einfach, da der Vorwurf, diese Verse seien schludrig gemacht, vollkommen unbegründet war, beziehungsweise ist. Dennoch schaffte ich es irgendwie, und wir erzielten den größten Lacherfolg, der – außer bei einem Menschenopfer – jemals auf Sizilien gehört wurde.
Kommt Ihnen das übrigens bekannt vor? Nein? Es sollte Ihnen aber bekannt vorkommen. Diese Szene wurde von meinem lieben Freund Aristophanes, Sohn des Philippos, Wort für Wort als eigene, ohne fremde Hilfe zustande gekommene Leistung in seiner erfolgreichsten Komödie Die Frösche wiedergegeben, zusammen mit seinen wirren Erinnerungen an unsere (hauptsächlich meine) witzigen Bemerkungen zum Thema, wer auf dem Pferd reiten sollte, die er, kleingestückelt und zerhackt, als Wortwechsel zwischen Dionysos und Xanthias in seiner Anfangsszene auftischte. Unsere herrliche griechische Sprache hat viele gleichbedeutende Bezeichnungen für den Ausdruck ›diebischer Barbar‹, aber keine von ihnen scheint ganz treffend beschreiben zu können, wie tief dieser Mann sinken kann. Deshalb überlasse ich den Tatbestand Ihrer Beurteilung und stelle es Ihnen frei, ihre eigenen Worte für ein solch schäbiges Verhalten zu finden.
Als das Lachen verklungen war und man diejenigen fortgeführt hatte, die davon außer Gefecht gesetzt worden waren, um sie mit feurigem Wein und kaltem Wasser zu beruhigen, wandte ich mich an den Schmied und fragte ihn: »Nun, was ist?«
Er dachte kurz nach und antwortete dann: »Ich selbst hätte zwar lieber etwas von Euripides gehört, aber ich denke, das reicht.« Warum will bloß jeder Mensch mit aller Gewalt ein Witzbold sein?
Wir mußten Erfolg gehabt haben, denn unter diesen sizilianischen Bauern – die einem normalerweise nicht einmal die Haarschuppen von ihrem Kragen abgeben – war ein richtiger Wettstreit darum entbrannt, wer uns ein Bett für die Nacht, eine anständige Mahlzeit, Futter für das Pferd, Proviant für den Marsch und sogar – unglaublich! – Geld geben durfte. Aristophanes betrank sich hochgradig und wurde der Tochter unseres Gastgebers ziemlich lästig, so daß wir schließlich um ein Haar umgebracht worden wären. Ich hingegen war zu erschöpft, um mehr zu tun, als zu essen und dankbar zu lächeln und schließlich zu schlafen. Auf jeden Fall war ich zu müde, um noch Angst zu haben – Steinbrüche hin, Steinbrüche her.
Kurz bevor ich schlafen ging, kam mein Gastgeber, um mit mir zu sprechen. Nachdem er anschaulich in allen Einzelheiten geschildert hatte, was er mit uns beiden anstellen werde, falls Aristophanes noch einmal seine Tochter anrühre, berichtete er mir, daß gerade einer
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