Walled Orchard 02: Der Garten hinter der Mauer
man glauben könnte, ich hätte dort dreißig Jahre lang gewohnt. Das Dorf hatte etwas, das man wohl im weitesten Sinne als Straße bezeichnen könnte. Diese Straße war von einer Reihe eindrucksvoll gebauter, aber ziemlich heruntergekommener Häuser gesäumt, und am oberen Ende stand ein kleines strohgedecktes Heiligtum aus Stein. Aristophanes hatte mittlerweile die Selbstbeherrschung völlig verloren und bestand hartnäckig darauf, mit mir in dem Heiligtum Zuflucht zu suchen, doch war ich gegen diesen Vorschlag. Zunächst einmal bezweifelte ich stark, ob es uns gelänge, in diesem Nest Zuflucht zu finden, da es auf mich einen nicht ganz so vertrauenerweckenden Eindruck wie zum Beispiel Athen oder Sparta machte. Aber selbst wenn es geklappt hätte, sah ich darüber hinaus für uns keine Aussicht, jemals wieder aus dem Heiligtum herauszukommen, sobald wir erst einmal drinnen säßen, und ich verspürte keinerlei Verlangen danach, den Rest meines Lebens, das sich angesichts der Langlebigkeit meiner Familie noch über einen größeren Zeitraum erstrecken mochte, in einer strohgedeckten Hütte auf Sizilien zu verbringen. Deshalb schlug ich vor, statt dessen zur Schmiede zu gehen und zu sehen, ob wir dort einen Krug Wasser bekommen und das Pferd verkaufen könnten.
»Das Pferd verkaufen?« keuchte Aristophanes.
»Ach, du bist also doch nicht taub. Ich hatte schon gedacht, du hättest keine Löcher in den Ohren.«
Diese Bemerkung werden Sie zwar nicht verstehen, aber sie war außerordentlich witzig, denn damals wurden den Sklaven für gewöhnlich die Ohrläppchen durchstochen, um sie von den freien Menschen zu unterscheiden. Nun ja, zumindest ich fand das lustig. Aristophanes war anderer Ansicht, bat mich aber nur, nicht so laut zu reden. Offensichtlich freute er sich, daß wir das Pferd verkaufen wollten.
In der Schmiede befanden sich fünf, sechs Männer und davor die übliche Gruppe Jungen und Jugendliche, die eine Schwäche dafür haben, andere Leute arbeiten zu sehen, und sie alle drehten sich um und starrten uns an, als wir zaghaft in den Schein des Feuers traten. Eine Zeitlang – es kann nur etwa eine Minute gewesen sein (kam uns aber länger vor) – herrschte eine quälende Stille. Unterdessen band ich das Pferd mit den Zügeln an einem Pfahl fest. Dann versuchte ich, ein Gespräch in Gang zu setzen. Leider hatte irgendwer in meinem Hals klammheimlich einen Wall aus Schlamm aufgeschüttet, der die Worte am Herauskommen hinderte, und zunächst brachte ich nicht viel mehr als ein Gurgeln hervor. Schließlich zwang ich mich, etwas zu sagen wie: »Guten Abend, meine Freunde, mein Name ist Eupolidas von Korinth. Ich bin Kaufmann und befinde mich auf der Durchreise nach Leontini, zusammen mit diesem athenischen Sklaven, den ich auf dem dortigen Markt verkaufen will. Leider habe ich irgendwo in den Bergen meinen Lederbeutel mit dem ganzen Geld verloren und bin deshalb gezwungen, mein Pferd zu verkaufen.«
Erneut herrschte für eine ganze Weile dieses furchterregende Schweigen, während der Schmied seinen Hammer ablegte und sich gründlich die Hände am Chiton abwischte.
»Du bist also unterwegs nach Leontini, was?«
»Genau.«
»Das ließe ich an deiner Stelle lieber sein.«
»So?« Ich versuchte, einen gleichgültigen Eindruck zu machen. Wenn ich es mir im nachhinein recht überlege, glaube ich nicht, daß mir das damals sonderlich gut gelang.
»Ja.«
»Wieso?«
»Die mögen da keine Athener.«
»Du meinst, ich bekäme dort keinen guten Preis für meinen athenischen Sklaven?«
»Ich meine, du bekämst nicht mal einen Stater aus Blei für deinen athenischen Kopf.«
Daß er so etwas meinte, hatte ich befürchtet. In diesem Moment hätte ich schwungvoll mein Schwert ziehen und etwas Mutiges vollbringen sollen, doch statt dessen wurde ich weich wie ein großes Stück Käse, das man unachtsam vor dem Feuer hat liegenlassen.
»Jedenfalls nicht in Leontini«, fuhr der Schmied fort. »Und wir hier draußen könnten gar nichts geben.«
Ich glotzte ihn an, als wäre ihm gerade ein zusätzliches Ohr gewachsen, und antwortete nur mit »Aha« oder etwas ähnlich Gescheitem.
»Das hat nichts mit uns zu tun«, merkte ein riesiger Mann an, der auf einem dreibeinigen Hocker neben der Feuerstelle saß. »Ich meine, daß du nicht gefährlich bist, sieht doch jeder.«
Womöglich würden Sie sich durch eine solche Bemerkung beleidigt fühlen, doch gerade damals empfand ich sie als das Netteste, was man je über mich
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