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Wallenstein (German Edition)

Wallenstein (German Edition)

Titel: Wallenstein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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empfangen, sie zu bewillkommnen und zu trösten. Diese fanden, mit Fackeln herumwandernd, die Nacht und den ganzen nächsten Tag das wandernde Volk unbeweglich auf der Landstraße liegen, auf den Äckern; kein Erwachsener nahm die Speise an, die man ihm bot. An der Erde lagen sie, wie hergeworfene Schiffbrüchige; alle waren von den Karren und Wagen gestiegen. Von Zeit zu Zeit erhob sich gräßliches Geschrei; einer schrie, hundert schrien, alle schrien. Dann fielen sie wieder hin, blickten, sich zerkratzend, nach drüben herüber, wo die Kroaten die Grenze sperrten. Die zappelnden Pelzmützen, die weißen Hosen: da! Aus fünftausend Herzen wurde Gottes Name Tag und Nacht angerufen gewälzt gekaut gebissen geschlungen. In Tränen und Staub mischten sie sich mit der Landstraße, besudelt zertrümmert standen sie auf, rieben sich leer widerspenstig aneinander. Wer nach drüben über den Kirchturm sah, dem gerann das Blut vor dem Unfaßbaren.
    Man mußte weiter. Das Vieh blökte, die Kinder schrien, es wollte regnen, die Sachsen trieben sanft. Mit Haß unterdrückte man rechts und links das Aufweinen.
    Man geleitete sie ins Plauensche, in den erzgebirgischen Kreis – sie wehrten sich, weiterzuwandern –, an die Zschopau, die Zwickauer Mulde, um Neustädtel, Werdau, Sayda, unfern Chemnitz. In der Stadt Wolkenstein stand die Hälfte aller Häuser leer. Zu finster, tief geschlagen, stumpf waren die Flüchtlinge, um sich darüber zu verwundern; sie hörten lange nicht das scheue Flüstern der Einwohner: man hatte sie untergebracht in verlassenen ausgestorbenen Pesthäusern. Noch ging die Pest mit Beulen und Geschwüren im Erzgebirge um; sie regten sich kaum bei der Nachricht. Als man sich an sie wandte, Mädchen dem Rat zu schicken zur Übung des Pestbannes, blieben sie stumm; die mitleidigen Bürger zogen auch ihre Häuser in den Bann ein. Mitternachts sammelten sich erwählte Knechte, reine Jungfrauen, dazu eine Witfrau am Ende Wolkensteins; die Weiber traten beiseite, entkleideten sich; die Jungfrauen spannten sich an einen Pflug, rissen eine Furche im Finstern um den Ort; die Witfrau führte, ein Knecht ging nach, der andere hütete die Kleider. Aber die erwünschte Pest näherte sich den Einwanderern nicht. Es brauchte Wochen, ehe sie ihre verregneten Wagen abluden, noch nach einem halben Jahr sah man Karren vor Häusern und Hütten stehen, als wenn gestern einer angelangt wäre. Dies geschah aus Trägheit, aus Widerwillen und Groll; man ließ es so in einer Art liebevoller Schonung, die man sich angedeihen ließ, und in Angst, sich zu berühren. Man tat sein notwendiges Gewerk mit Fluch und Drohung. Die Bibeln lagen in keiner Kammer mehr auf dem Tisch, der Truhe, auf Ehrenschränkchen; wie unabsichtlich war das Buch verschoben überlagert worden von Decken, war wie in Gedanken heimlich beiseite geschafft, in Kisten ganz tief vergraben. Keiner durfte von ihm sprechen, kaum, daß man die alten Tages- und Tischgebete sprach. Man hatte ein Geheimnis, verbarg etwas wie ein Verbrechen. Wer von der Heimat sprach, den alten Putz anlegte, die bestickten Hauben, roten Westen mit Messingknöpfen, konnte gewärtig sein, von einem rasselnden Schwall Zornes überschüttet zu werden; auf wen diese glühenden bangen Augen gerichtet waren, der war beschämt. In Trotz und leiser Wut lebte man hin zwischen Akkerbau Hausjammer im fremden Vogtlande. Die Sachsen fanden kein Ende sich zu wundern über die Gottlosigkeit der vielgerühmten Böhmen, die in die Kirche nicht gingen, werkten werkten. Oft warf einer der Böhmen seine Axt beiseite, sah seine Balken an, spie darauf, stöhnte mutlos. Es war nichts Bleibendes: wer mochte Orte schmücken, an denen man nichts zu suchen hatte! Wolkenstein, Wolkenstein! Prag! Darum weinten sie und konnten sich nicht entschließen, Mörtel für neue Häuser zu rühren, den Boden, der ihnen gestellt war, zu brechen. Halbes Werk leisteten sie, und wenn die sächsischen Amtmänner und Rentmeister vorbeiritten, leise schalten, hatten sie daran ihre Freude wie an nichts. Mit Grimm erzählten sie abends in den Stuben einander: der Sachse auf dem Pferd hätte sie gescholten, hätten Lust, ihn totzuschlagen, wenn er wieder vorbeikäme. Und von Zeit zu Zeit erfolgten in ihren Häusern Explosionen; das entschlossene nicht zu hemmende Hinstöhnen der alten Männer, das Aufweinen und Heulen der Weiber und vergrämten Kinder, die nicht beachtet wurden. Das klagte rüttelte winselte durch die Straßen; von Haus zu

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