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Wallenstein (German Edition)

Wallenstein (German Edition)

Titel: Wallenstein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Döblin
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Haus, von Erker zu Erker pflanzte es sich fort; und wer draußen im Dunkeln seine Wohnung suchte, konnte im voraus wissen, was ihn erwartete. Man küßte sich, rief sich mit Namen an, zeigte sich die Kinder, sprach, jubelte von Böhmen, Tschaslau, Teschen, Königgrätz, erinnerte einander an die Reise über das Gebirge, lachte tränenfließend über die Kroaten, rief sich ins Gedächtnis zurück gramlos die grausamen Bekehrungsszenen mit Liebe Verzückung Verklärung, sprach von Breuners Dragonern, dem tollen Wolfsstirn –, die Kinder lauschten. Es war für halbe Stunden, wo die Türen geschlossen, die Läden angelegt waren, die Unschlittkerze brannte, als säße man eingehüllt in Böhmen draußen; man brauchte nur die Tür aufzumachen, hörte das böse vermißte katholische Abendgeläut!
    Wie verraten hielt man sich später in Raserei, zerschmetterte die Stühle, streckte steif die Arme aus, wollte dies nicht dulden, immer immer dulden. Die Kinder schrien, versteckten sich. Nach diesen dumpfen Orgien war die Verdrossenheit gesunken, aus der Apathie schlugen von neuem die dunklen Flammen des Jähzorns, der wilden Gehässigkeit und Schadenfreude. Brutalität war an der Tagesordnung bei den vertriebenen Böhmen; gefürchtet waren sie auf dem Lande und in einzelnen Städten, wo nicht scharfe Polizei herrschte. Sie hatten miteinander keine Verbindung, liebten sich gar nicht, und nur dies verhütete großes Unglück. Ein Dorn im Auge war vielen die sächsische Kirche, und gegen das freche Imwegsitzen beim sonntäglichen Kirchgang konnten die sächsischen Bürgermeister nicht genug eifern. Es konnte nicht ausbleiben, daß bei gelegentlichen Handgreiflichkeiten zwischen Sachsen und Zuwanderern offene Feindseligkeit zutage trat, die sächsischen Ansässigen sich Klage führend an ihre Gerichte wandten über die Behandlung, die sie innerhalb ihrer eigenen angeborenen Wohnstätten von undankbaren Fremden erfuhren. Das waren von Bürgermeistern Amtleuten vertretene Klagen ganzer Gemeinden, die Gerichte und befragte Behörden in allergrößte Verlegenheit setzten. Dahin war es gekommen, daß sie wie bösartige Bettler den Stadt- und Landgemeinden auf dem Hals saßen, nichts taten, was sie erhielten, bespöttelten. Katholische Singspiele, papistische Martyrien führten sie zu fünf, zu zehn an den Märkten auf, scheinbar sich zum Spaß, aber doch nur um den Ansässigen Ärgernis zu geben; höhnisch gaben sie Widerrede auf die Verwarnung; könnten tun, was sie wollten, und selbst wenn sie Lust hätten, eine Prozession nach Art der Papisten zu begehen, würden sie sich dies von keinem nehmen lassen. Und von da gab es nur einen Schritt, sich zusammenzutun und das Werk in den Weg zu leiten.
    Gegen das gefährliche rachsüchtige Gebaren traten, von den Dresdener Behörden angegangen, böhmische Edle, auch der alte Graf Thurn, Flüchtige wie sie selbst, auf. Smil von Hodějovský, in Dresden am Verschwörerzentrum gesessen, stürmte wie ein Sperber auf die Zuwanderer los, als der von Schönberg, ein sehr klarer vorsichtiger Mann, ihm die sächsischen Besorgnisse entwickelt hatte. Dem Smil folgten der kühne Sohn des Berka, der sich aus der Gefangenschaft nach der Prager Schlacht befreit hatte, und Adam Lukšans älterer melancholischer Sohn Daniel. Diese drei mit ihrem Anhang gedachten ihre Landsleute zu zähmen und sich Einfluß bei ihnen zu erwerben.
    Sie ritten, redeten, donnerten, lobten, entwickelten Pläne. Sie überfuhren die Einwanderer mit ihren Worten, Blicken und Gesten wie eine pelzige Raupe eine Steinplatte: kaum daß sie sie berührt und mehr auf ihr hinterläßt als etwas graue Feuchtigkeit, deren sich die Platte schämt. Der Smil, im feinen französischen Gewand mit Degen, wie der prächtige Pfälzer sich zu tragen pflegte, redete lockend vom Sterne, dem Prager Tiergarten, wo die böhmische Jugend sich verblutet hatte für die gerechte Sache, Wahlkönigreich, freie Religionsübung. Die Worte schlugen den Böhmen um die Ohren und trafen sie nicht. Der Berka wandte sich direkt an die Ältesten, die Angesehenen, die Patrizier; er ging zu Fuß, sprang unter sie, feurig wie er war; prahlend beschrieb er ihnen die Schönheiten ihres Landes, dessen sollten sie eingedenk sein; von ihrem Land sei die Welle der Befreiung über die Welt gegangen; sollten nicht verzagen, die Welle käme zu ihnen zurück. Daniel Lukšan, reich wie er war, ritt auf einem Maultier in kläglichem blauem Tuch, die Federkappe auf dem Kopf. Stellte sich

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